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Scheherazade macht Geschichten

Titel: Scheherazade macht Geschichten
Autoren: Craig Shaw Gardner
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Schwester rief. In Windeseile öffnete sich die Tür zu den Gemächern des Königs, und die liebliche junge Dunyazad betrat den Raum.
    Der König legte die Stirn nur noch tiefer in Falten. »Hier geht etwas vor sich, was ich nicht ganz verstehe.«
    »O Schwester«, rief Dunyazad, als sie Scheherazade erblickte. »Es ist schön, dich wiederzusehen. Ich bitte dich, erzähle mir eine deiner zauberhaften Geschichten, die ich so sehr bewundere!«
    Als er das hörte, rief der König voller Bestürzung aus: »Ich kann diese junge Frau nicht einmal vernaschen, und jetzt soll ich mir auch noch ihre Geschichte anhören?«
    Doch auf diese Bemerkung hin lächelte Scheherazade nur liebenswürdig und meinte, daß sie dem Vernaschen ja keineswegs ablehnend gegenübergestanden habe.
    Was Dunyazad anbelangte, so entschied diese, daß wohl der richtige Zeitpunkt gekommen wäre, die Schnitzereien in den angrenzenden Zimmern des königlichen Traktes zu begutachten. Scheherazade dagegen dachte überhaupt nicht daran, sich zurückzuziehen. Vielmehr zog sie aus, und zwar die Gewänder des Königs. Ehe Shahryar sich versehen hatte, war er nackt.
    Als Dunyazad zu dem Entschluß gekommen war, daß genügend Zeit verstrichen war, und außerdem die Schreie aus dem angrenzenden Raum verklungen waren, da suchte sie erneut ihre Schwester und den König auf, die sich müßig unter großen Tüchern aus Seide und unter einigen gegerbten Fellen exotischer Tiere rekelten.
    »Ah, ganz ohne Zweifel«, sagte Shahryar mit halb geschlossenen Augenlidern. »Vernaschen. Das muß ich unbedingt öfter machen. Nun, wo habe ich denn mein Schwert hingelegt?«
    Doch statt ihm auf seine Frage zu antworten, entgegnete Scheherazade: »Schaut, o mein Gebieter! Meine Schwester Dunyazad ist zurückgekehrt.«
    Und Dunyazad ihrerseits sagte: »Ich bitte dich, o Schwester, erzähle mir eine deiner zauberhaften Geschichten, die ich so sehr bewundere!«
    Als er das hörte, hob der König, aufmerksam geworden, seine Augenbrauen. »Oh, doch, ja, ich glaube, das Schwert kann noch eine Weile warten. Wir sollten auf jeden Fall zuerst noch eine Geschichte hören!«
    Daraufhin lächelten Dunyazad und Scheherazade sich verstohlen an, wie Schwestern es manchmal zu tun pflegen. Dunyazad suchte sich zwischen den Kissen einen bequemen Platz zum Sitzen – wobei sie ganz darauf bedacht war, diese nicht beim Namen zu nennen, denn während sie außerhalb der Schlafgemächer gewartet hatte, hatte sie alles gehört, was sich drinnen zugetragen hatte.
    »Nun«, meinte Scheherazade, »vielleicht fällt mir tatsächlich eine passende Geschichte ein.«
    Und mit diesen Worten hatte Scheherazade den Grundstein für ihr weiteres Schicksal gelegt.

Das 4. der 35 Kapitel,
    in dem eine Geschichte abgebrochen,
    dafür aber kein Kopf abgeschlagen wird.
     
    Und Scheherazade erzählte die folgende Geschichte:
     
    DIE GESCHICHTE VON
    DEM HÄNDLER UND DEM DSCHINN
     
    Es war einmal, o hochbeglückter König, ein berühmter Händler, den alle anderen Händler bewunderten und der bekannt war auf allen Marktplätzen der zivilisierten Welt, ob sie nun groß oder klein waren. Weit war der Händler schon herumgekommen, denn er bereiste den ganzen Erdball auf der Suche nach neuen Waren und neuen Wundern, die es zu erkunden galt.
    Und so kam es, daß dieser Händler sich an jenem Tag, an dem das alte Jahr ins neue übergeht, alleine, ganz ohne seine Familie und seinen Freunden, in ferner Fremde wiederfand. Und weiter geschah es, daß er in diesem ihm unbekannten Land, das an eine beeindruckend schöne, aber unfruchtbare Ebene grenzte, zu einem Spaziergang aufbrach, der ihn zu jener Stelle brachte, an dem das Ackerland in Wüste überging. Wahrlich bot sich dem Händler dort ein großartiger Anblick, denn die beiden Gebiete waren durch eine breite Schlucht voneinander getrennt, so daß sich auf der einen Seite nur grüne Wiesen erstreckten, während sich auf der anderen die öde Felslandschaft ausbreitete.
    Konnte es einen besseren Ort geben, so dachte der Händler, um über sein Dasein und das, was das nächste Jahr ihm wohl bescheren würde, zu philosophieren, als diesen hier, wo Leben und Tod so nahe beieinander lagen? Und so suchte er sich einen geeigneten Platz, wo er sich niederlassen und beide Gebiete überschauen konnte. Nachdem er es sich einigermaßen bequem gemacht hatte, griff er in seinen Proviantsack und begann gedankenverloren an ein paar Datteln zu kauen. Und wie es so kommt, wenn ein einsamer Mann
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