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Schaut nicht weg

Schaut nicht weg

Titel: Schaut nicht weg
Autoren: Stephanie Zu Guttenberg
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plötzlich Mut zu reden. Gerade die Bekanntmachung der vielen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und an reformpädagogischen Schulen – Canisius-Kolleg Berlin, KlosterschuleEttal, Regensburger Domspatzen, Odenwald-Schule – zeigt, dass sich Menschen mit ihrer Geschichte endlich in die Öffentlichkeit wagen. Die Gesellschaft traut sich nun, sich diesen Tabuthemen zu stellen. Inzwischen haben 22 der 27 deutschen Bistümer bekannt gewordene Missbrauchsfälle gemeldet. Das hätte es meiner Ansicht nach vor 15 oder 20 Jahren noch nicht gegeben – da wären die vielen Missbrauchsfälle eher unter den Teppich gekehrt worden – und das ist ja auch geschehen. Es ist aber dringend notwendig, dass all diese Fälle schonungslos aufgeklärt werden. Um den Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen und um sicherzustellen, dass derartig intime und zugleich hierarchische Strukturen zukünftig verhindert werden können. Bei dieser wichtigen Debatte darf allerdings nicht untergehen – und das liegt mir am Herzen –, dass wir in Bezug auf den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in erster Linie kein Kirchenproblem, sondern ein Gesellschaftsproblem haben. Der schlimmste Missbrauch geschieht noch immer in den Kinderzimmern. Jeder von uns kennt Opfer im Freundeskreis, oft ohne es zu wissen. Auch mich rufen aufgrund meiner Tätigkeit immer häufiger Menschen aus meinem privaten Umfeld an, Verwandte und Freunde, die vollkommen verzweifelt sind, weil sie als Kinder missbraucht wurden und nun nicht wissen, was sie machen sollen mit diesen traumatischen Kindheitserinnerungen. Menschen, von denen ich nie gedacht hätte, dass auch sie, durch Eltern oder enge Familienfreunde, sexuellen Missbrauch erfahren haben könnten. Sexueller Missbrauch ist also viel verbreiteter, als wir wahrhaben wollen. Deshalb müssen wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, um zu verhindern, dass sich der Mantel des Schweigens weiterhin über die vielen schrecklichen Einzelschicksale von Jungen und Mädchen ausbreiten kann.
    Seit einigen Jahren bereits gibt es allerdings eine neue und dramatischere Dimension des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen: Das Internet hat der Pädokriminalität Tür und Tor geöffnet. Millionen Bilder und Videos von sexuell missbrauchten Babys, Kindern und Jugendlichen kursieren im Netz und werden zehntausendfach angeklickt und heruntergeladen. Tendenziell werden die Taten immer brutaler und auch die Opferzahlen steigen. Diese Bilder und Videos werden breit konsumiert – und die Mehrheit der Konsumenten ist nicht pädophil. Denken diese Menschen darüber nach, dass die Bilder und Videos auf ihrem Bildschirm grausame Dokumente realer Missbräuche sind? Zuhause, vor dem Rechner befinden sich viele Menschen in einer Art zweiter Realität. Und doch ist das, was sie sich dort ansehen, tatsächlich geschehen. Es ist kein gutes Gefühl, dass auch unsere Kinder sich dort im Internet tummeln, dort chatten und surfen, wo viele Täter unterwegs sind. Täter, die dort gezielt nach Kindern und Jugendlichen suchen, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Das Internet, so wunderbar diese Errungenschaft auch ist, macht den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen leicht.
    Es ist also unendlich wichtig, dass sich auch die Politik endlich dazu durchringt, effektiv gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Internet anzugehen. Denn was die Gesetzgebung in Deutschland betrifft, liegt sehr vieles im Argen. Ein gutes Beispiel für das zaudernde Vorgehen der Bundesregierung ist die Debatte um die Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten. Zwar hat der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler im Februar diesen Jahres das von Ursula von der Leyen vorangetriebene Gesetz zur Sperrung von kinderpornografischen Seiten im Internet unterzeichnet – doch wurde dieses Gesetz nie umgesetzt. Denn es stammte noch aus der Zeit der großenKoalition und ist mit den neuen Zielen der schwarz-gelben Regierung nicht mehr kompatibel. CDU, CSU und FDP vereinbarten zwar unlängst in ihrem neuen Koalitionsvertrag, dass betreffende Seiten nicht gesperrt, sondern gelöscht werden sollen – aber wann dies geschehen soll, das steht noch in den Sternen. Und inwieweit ein Löschen der betreffenden Seiten überhaupt möglich sein wird, ist mehr als fraglich, denn die meisten kinderpornografischen Internetseiten liegen auf ausländischen Servern. Fazit: Die Bundesregierung ist in ihrem Bemühen, gegen
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