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Schattenseelen Roman

Schattenseelen Roman

Titel: Schattenseelen Roman
Autoren: Olga Krouk
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musste gewahrt bleiben.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte er.
    Sie schmunzelte. »Hungrig.«
    »Gerade mal eine Minute wieder da und nur ans Essen denken«, neckte er.
    »Nachdem du den Metamorph in mir getötet hast, muss ich keine Angst haben, dick zu werden.«

    Er hob sie auf die Arme. »Na dann - ich kenne ein hübsches Lokal, wo wir auch zu dieser Uhrzeit noch etwas kriegen können.«
     
    Evelyn saß am Bartresen vor einem vollen Glas Martini. Natürlich würde sie den Cocktail nicht trinken - nachdem sie endgültig zu einer Nachzehrerin geworden war, konnte sie nicht einmal mehr einen Schluck Wasser zu sich nehmen, ohne sich übergeben zu müssen -, aber das konische Glas mit der Olive darin sah einfach zu schick aus. Außerdem musste sie den Schein wahren, so als käme sie wegen eines Drinks hierher.
    Das Schauspiel gefiel ihr. In den Wochen, in denen sie mit Adrián auf Nahrungssuche gegangen war, hatte sie gelernt, ihr Leben als Nachzehrer zu akzeptieren. Sie spürte keine Zerrissenheit mehr, sie wusste, wohin und zu wem sie gehörte. Heute, zum ersten Mal allein auf Beutezug, fand sie sogar Spaß daran. Sie nahm die Aura der Menschen um sich herum wahr und interpretierte mit Vergnügen die Farben. Der dickliche Mann im Sweatshirt, der gerade sein drittes Bier bestellte, strahlte vor Glück und Energie. Der Typ im Lederjackett machte einen auf Macho, womit er sein mangelndes Selbstwertgefühl zu übertünchen versuchte. Der Anzugträger schien auf der Suche nach etwas zu sein. Vielleicht drehte er deswegen so nervös an einem seiner Finger, als wollte er ihn abschrauben.

    Eine Frau blätterte in der Zeitung. Evelyns Blick fiel auf das Titelblatt: »Tschechoslowakischer Wolfshund beißt ein Kind zu Tode …«
    Akash. Eine wild gewordene Bestie ohne sein Herrchen. Ob der Hund gefangen und eingeschläfert worden war? Ob er im Jenseits zu seinem Herrchen fand?
    »Ich bitte um Erlaubnis, zu dir sprechen zu dürfen.«
    Evelyn hatte nicht bemerkt, wie sich jemand zu ihrer Rechten niedergelassen hatte. Als sie aufschaute, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus.
    »Du?«, hauchte sie.
    Die Unbekannte mit der ebenholzschwarzen Haut, die sie damals an der Bushaltestelle und vor Hermanns Haus bemerkt hatte, neigte den Kopf. Ein Lächeln huschte über ihre vollen, weinrot geschminkten Lippen. Sie winkte die Barkeeperin zu sich. »Einen Mai Tai bitte. Mit ein paar Papaya-Stückchen, wenn es geht.« Halb zu Evelyn gewandt, strich sie über ihren kurzen Rock und schlug ein Bein über das andere. Sie trug ein bordeauxfarbenes Kostüm, das jede ihrer Rundungen betonte und ihr perfektes Dekolleté zur Schau stellte, auf das der Macho-Typ immer wieder einen Blick warf. Sie schenkte ihm nicht mehr Beachtung als einer der Fliegen, die um die Leuchttafel mit dem Lokalnamen herumsummten.
    »Schön, dich wohlauf zu sehen.«
    Evelyn griff nach ihrem Martini, als könne der Glasstiel ihr Halt geben, im Geiste bereit, nach Adrián zu rufen. »Warum verfolgst du mich?« Nicht einmal
Linnea und ihre Horde hatten ihr jemals so viel Unbehagen bereitet.
    »Wir sind besorgt um dich.« Die Hand mit den gestylten Nägeln, lang wie Krallen, glitt über die Marmoroberfläche des Tresens auf Evelyn zu. »Ehrenwerte Kali.«
    Kali, so hieß die Hexe in ihr. Der Name durchzuckte ihr Hirn wie ein Blitz, erweckte die dunkle Seite und die Erinnerungen, die im Verborgenen ruhten. Die Erinnerungen an das Leben einer Mächtigen, dem sie sich verweigerte, stoben in ihr hoch. Mit ihnen schlich sich auch der Name der Dunkelhäutigen in ihren Kopf.
    »Oya. Die Zerreißerin.«
    Die Frau schloss die Augen, und ein Windzug strich über ihre Mähne. »Du erinnerst dich also tatsächlich?«
    Evelyn wandte den Blick ab und starrte die Olive an, die in ihrem Glas schwamm. »Du bist eine der Orishas, der Elementargottheiten der Yoruba«, sagte sie tonlos, »die Hüterin der Friedhöfe, die Herrin über Nigers Strom, die Kraft hinter den Tornados und dem Donner, aufgelöst in allem Unsichtbaren.« Wie sehr sie sich auch bemühte, die Geistesbilder ihrer dunklen Seite unter Verschluss zu halten, sie brachen aus ihr hervor. Allein die Gegenwart dieser Frau erweckte die Schatten in ihr zum Leben.
    »Es freut mich zu sehen, dass es dir gutgeht.«
    Die Barkeeperin schob auf einer Serviette den Cocktail über den Tresen. Oya schlürfte die Flüssigkeit durch
den Halm, während Evelyn die Spiegelungen in ihrem Glas beobachtete.
    »Warum sollte es mir schlechtgehen?« Sie
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