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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss
Autoren: Silvia Roth
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haben, dass hier etwas nicht stimmt. Irgendein Zentralrechner, der auf die Daten des Tagesabschlusses wartet. Oder... Ja, natürlich! Bredeney! Die Erkenntnis, dass ihr Handy noch immer nur ein paar Meter von ihr entfernt unter einem Blumenkübel lag, durchfuhr Winnie Heller wie ein Stromschlag. Doch kaum war die erste Euphorie verflogen, stahlen sich bereits neue Zweifel in ihr Bewusstsein. Wie viel konnte ein Außenstehender überhaupt mitbekommen von dem, was hier ablief? Immerhin hatte Bredeney nicht die geringste Ahnung, dass sie sich in einem Bankhaus befand. Und selbst wenn er aus den spärlichen Wortfetzen, die durch das Rauschen der Atmosphäre bis an sein Ohr gedrungen sein mochten, die richtigen Schlüsse zog ... Wie lange würde es dauern, alle notwendigen Schritte in die Wege zu leiten? Ihr Handy zu orten, die zuständigen Kollegen zu informieren, das SEK? Und wie viel Zeit war eigentlich vergangen, seit es angefangen hatte? Drei Minuten? Fünf?
    Sie schielte wieder zu Alpha hinüber, der ihr jedoch den Rücken zuwandte. Seltsamerweise fühlte sie sich trotzdem irgendwie beobachtet. Wahrgenommen, kontrolliert, überwacht, was auch immer. Und sie überlegte unwillkürlich, mit wie vielen Angreifern sie es wohl tatsächlich zu tun hatten. Wie groß das Ausmaß dessen war, was hier passierte. Die Dimension ...
    Im selben Moment wandte Alpha den Kopf.
    »Also Plan B«, sagte er, und Winnie Heller, die sich schnell wieder flach auf den Boden geduckt hatte, fand die beinahe gespenstische Ruhe, die in den drei Worten lag, mehr als bedrohlich.
    Was, zum Teufel, sollte das heißen, Plan B? Bedeutete ein Plan B nicht zwingend, dass es auch einen Plan A gab? Und wenn ja, was war damit? Hatte Plan A verworfen werden müssen, weil dieser ominöse Walther Lieson zu einem außerordentlichen Termin in die Schweiz gerufen worden war? Oder hatte es von Beginn an ...
    Winnie Heller kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu denken.
    Jemand, den sie nicht hatte kommen hören, packte sie von hinten und zwang ihr die Arme auf den Rücken, bis sie vor Schmerz laut aufstöhnte.
    Zwischen ihren Schulterblättern knackte es.
    Dann fühlte sie Plastik, das tief in ihre Haut schnitt.
     
     
     

4
     
    Der Mann bewegte sich so, dass er nicht auffiel. Schon als kleiner Junge hatte er sich darin geübt, stundenlang auf irgendeinem Dach zu liegen, so unbeweglich, so wenig vorhanden, dass selbst die vorsichtigsten Vögel irgendwann vergessen hatten, dass er überhaupt existierte. Warum er das getan hatte, konnte er rückblickend nicht mehr genau sagen, aber später waren ihm diese früh erworbenen Fähigkeiten in vielerlei Hinsicht zugute gekommen. Und auch jetzt würden sie ihm ganz gewiss nicht schaden. Auch wenn er sich durchaus darüber im Klaren war, dass sie ihn nicht aus Gründen der Unauffälligkeit für die vor ihm liegende Aufgabe ausgesucht hatten. Aber das machte ihm nichts aus.
    Was ihn störte, waren die Blicke, mit denen die anderen ihn bedachten. Als ob er irgendein Perverser wäre, den man im Auge behalten musste. Der Truppenpsychologe damals in Hammelburg, der hatte ihn manchmal auf eine ganz ähnliche Weise angesehen. Und das, obwohl er in Wahrheit nichts als seinen Job erledigt hatte. Die Aufgabe, für die er ausgebildet worden war. Wenn jetzt ein Krieg käme, dachte er, dann wären sie heilfroh um einen wie mich. Er nickte kaum merklich vor sich hin und kam – wie schon so oft in seinem Leben – zu dem Schluss, dass die Antwort auf die Frage, ob einer ein Held oder ein Perverser war, allein von den Umständen abhing.
    Er trug einen leichten Baumwollmantel, der ihm gefiel, und bewegte sich ohne Hast quer über den Kochbrunnenplatz, Richtung Taunusstraße. Ein Stück vor dem Brunnentempel, den er ebenso überflüssig wie geschmacklos fand, war die eigentliche Quelle selbst an einem vergleichsweise milden Vorfrühlingsabend wie dem heutigen in wattige Dampfschwaden gehüllt. Irgendwo hatte er gelesen, dass es in dieser Stadt an kalten Tagen sogar aus den Gullys dampfte. Das salzhaltige Wasser half angeblich gegen alles Mögliche, von Halsschmerzen bis hin zu Stoffwechselstörungen, und als er das erste Mal hier gewesen war, um die Örtlichkeiten in Augenschein zu nehmen, hatte er sogar eine Hand hineingehalten. Genau wie ein Tourist. Das Wasser war widerlich warm gewesen, daran erinnerte er sich. Selbst noch an den Rändern des Auffangbeckens widerlich warm wie abgestandene Pisse.
    Sein Blick streifte eine
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