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Schattennächte: Thriller (German Edition)

Schattennächte: Thriller (German Edition)

Titel: Schattennächte: Thriller (German Edition)
Autoren: Tami Hoag
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als Leah, aber ziemlich cool. Cooler, als sie selbst jemals sein würde, dachte Leah. Wendy war immer nach der allerneuesten Mode gekleidet. Sie hatte eine blonde Lockenmähne und schaute ihre Frisuren immer bei Madonna ab. Leah lief dagegen Tag und Nacht in Reithosen und Poloshirts herum und trug ihre glatten dunklen Haare zu einem schlichten Pferdeschwanz zurückgebunden.
    Ihre Schwester Leslie war auch cool gewesen, bei allen beliebt, immer im Mittelpunkt. Leah zog nicht gerne Aufmerksamkeit auf sich. Nicht dass sie je eine Gelegenheit dazu gehabt hätte.
    Als Leslie verschwand, war sie zwölf Jahre alt gewesen. Mit ihr hatte Leah ihre große Schwester verloren, aber in gewisser Weise nahm die abwesende Schwester noch viel mehr Raum ein als die anwesende. Immerzu ging es um Leslie. Wo war Leslie? Wer hatte Leslie entführt? Lebte Leslie, oder war sie tot? Jeder Tag ihres Lebens hatte sich um Leslie und die Suche nach ihr gedreht.
    Leah hatte alles getan, um nicht aufzufallen – ihren Eltern war das nur recht gewesen.
    »Da war ich in der Fünften«, fuhr Wendy fort. »Ich war mit einem Freund auf dem Nachhauseweg von der Schule. Wir haben eine Abkürzung durch den Oakwoods Park genommen, und plötzlich ist Dennis Farman, ein ziemlich fieser Typ, aufgetaucht, und wir sind vor ihm davongerannt, und da sind wir über die Leiche gestolpert.«
    »Iih!«, rief Leah. »Das ist ja gruselig!«
    »Das kann man wohl sagen. Es war total eklig und unheimlich.«
    »Woran ist er gestorben?«
    »Es war eine Frau. Ein Serienkiller hatte sie ermordet, und es stellte sich heraus, dass er der Vater meines besten Freundes war.«
    »Das glaub ich nicht!«
    »Wenn ich’s doch sag.«
    »Mann, das ist ja echt krank.«
    Und irgendwie war es auch toll. Nicht toll, dass jemand ermordet worden war oder dass der Vater von Wendys Freund ein Serienmörder war. Sondern dass Wendy auch schon mal so etwas ganz und gar Außergewöhnliches passiert war wie Leah. Dadurch fühlte sie sich nicht so ausgegrenzt. Wendy hatte auch etwas Schlimmes hinter sich.
    »Und was ist dann passiert?«
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte Wendy, »jedenfalls sitzt Tommys Vater jetzt im Knast.«
    »Oje, dein armer Freund.«
    »Ja, das kann man sagen. Seine Mutter hat mit ihm die Stadt verlassen, und kein Mensch hat je wieder was von ihnen gehört. Keiner weiß, wo sie sind«, sagte sie. »Ich hatte gehofft, dass er sich bei mir meldet, dass er mir eine Postkarte schreibt oder mich anruft oder so, aber nichts.«
    Sie sah Leah ernst an. Ihre Augen waren kornblumenblau. »Du fragst dich bestimmt auch ständig, was mit deiner Schwester ist.«
    »Ja«, sagte Leah, obwohl es nicht ganz der Wahrheit entsprach.
    Die meiste Zeit bemühte sie sich, nicht an Leslie zu denken. Es tat ihr zu weh. Sich vorzustellen, was ihrer Schwester passiert sein könnte oder ihr vielleicht in diesem Moment passierte, ertrug sie nicht. Es reichte schon, dass sie nachts oft genug davon träumte.
    Manchmal stellte sie sich vor, dass der Entführer furchtbare Sachen mit Leslie angestellt und sie dann umgebracht und ihre Leiche irgendwo abgeladen hatte, wo sie jetzt verrottete. Aber manchmal stellte sie sich auch vor, dass ihre Schwester an irgendeinem aufregenden Ort ein aufregendes Leben führte und dass sie ihr Gedächtnis verloren und sich deshalb in all den Jahren nicht bei ihnen gemeldet hatte.
    In den Fernsehserien kam es dauernd vor, dass jemand sein Gedächtnis verlor. Aber wahrscheinlich gab es das im wahren Leben überhaupt nicht. Ihre Mutter hatte ihr klipp und klar gesagt, dass so etwas nicht passierte und dass es auch Leslie nicht passiert war.
    In der Ferne wieherte ein Pferd, und die Pferde, auf denen die Mädchen saßen, hoben die Köpfe und spitzten die Ohren. Die Ranch lag genau unterhalb von ihnen, nur ein paar Hundert Meter weit entfernt. Sie hatten ihre Runde fast beendet.
    »Denkst du oft an die tote Frau?«, fragte Leah. »Ich meine, hast du Albträume und so?«
    »Manchmal. Und du?«
    »Manchmal.«
    »Du solltest mal mit Anne sprechen«, sagte Wendy.
    »Wer ist Anne?«
    »Anne Leone. Sie war meine Lehrerin in der fünften Klasse, aber jetzt macht sie Beratung und so. Anne ist echt cool. Tommys Vater hat versucht, sie umzubringen, aber sie ist ihm entkommen. Sie weiß, wie es ist, wenn man was Übles durchgemacht hat. Außerdem kann sie echt gut zuhören. Sie holt mich nachher ab«, sagte Wendy. »Ich stell sie dir vor, wen du magst.«
    »Warum holt sie dich
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