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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf
Autoren: John Lescroart
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hatte er eine Steve-Tyrell-CD mit alten Standards gehört. Im Gefrierfach war eine Viererpackung der Putenwürstchen mit Basilikum, die er so gern mochte.
    In fünf Minuten hatte er alles kleingeschnitten, in die Pfanne gekippt und aufs Geratewohl etwas Kräuter und Gewürze sowie mehrere Spritzer Tabasco-Soße und eine halbe Tasse von dem Zinfandel dazugegeben, den er gerade aufgemacht hatte. In dem Moment, in dem er die Flamme zurückdrehte und einen Deckel auf die Pfanne gab, läutete das Telefon. In der Annahme, es sei Frannie, nahm er beim zweiten Läuten ab und meldete sich mit: »Bob’s Beanery.«
    »Da muss ich mich wohl verwählt haben«, antwortete eine Männerstimme.
    »Nein, halt! Entschuldigung. Ich dachte, es wäre meine Frau.«
    »Spreche ich mit Mister Hardy?«
    »Ja, am Apparat.«
    »Mister Hardy, ich bin Oscar Thomasino.«
    »Euer Ehren, wie geht’s?«
    »Danke, gut. Kann ich Sie so spät noch kurz stören?«
    »Aber sicher, kein Problem. Was gibt’s?«
    »Also, das Ganze ist zugegebenermaßen etwas ungewöhnlich, aber nachdem wir uns schon so lange kennen, dachte ich mir, ob ich Sie aufgrund unserer langjährigen beruflichen Beziehung nicht doch mit so etwas behelligen könnte.«

    Das war in der Tat ungewöhnlich, um nicht zu sagen unerhört. Hardys Tonfall blieb trotzdem neutral. »Aber selbstverständlich, Euer Ehren. Jederzeit - soweit es in meiner Macht steht.« Es kam selten genug vor, dass ein Superior-Court-Richter einen Anwalt um einen Gefallen bat, und so eine Gelegenheit wollte sich Hardy nicht entgehen lassen.
    »Das tut es ganz bestimmt«, sagte Thomasino. »Kannten Sie Charles Bowen? Charlie?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Sie würden sich bestimmt an ihn erinnern. Immer sehr modisch gekleidet, leuchtend rote Haare, üppiger Bart.«
    »Sagt mir leider gar nichts. Ist er Anwalt?«
    »Ja, war er zumindest. Er ist vor sechs Monaten verschwunden.«
    »Wohin?«
    »Wenn ich das wüsste, wäre er wohl kaum verschwunden, oder? Er wäre irgendwo.«
    »Jeder ist irgendwo, Euer Ehren. Das ist eine der zwei Grundregeln. Jeder liebt irgendwann mal irgendjemanden, und jeder muss irgendwo sein.«
    In der kurzen Pause, die darauf eintrat, wurde Hardy klar, dass er zu weit gegangen war. Sein Hang zur Klugscheißerei würde ihm noch einmal das Genick brechen. Doch Thomasino hatte sich rasch wieder gefangen und konterte seinerseits mit einer Spitze. »Danke, Diz, ich werde es mir hinter die Ohren schreiben. Doch zurück zu Charlie Bowen.«
    »Gut.«
    »Also, wie soll ich sagen … die Sache ist die: Er war ein klassischer Einzelkämpfer. Keine Sozietät, keine Partner, aber eine relativ gute Auftragslage.«
    »Schön für ihn.«

    »So ist es, aber für das Gericht war sein Verschwinden weniger schön. Und das gilt auch für seine Frau und seine Tochter, möchte ich mal sagen. Sie hat sich einen Anwalt genommen, um eine Klage auf Todesvermutung einzureichen, die, unter uns gesagt, wenig Aussicht auf Erfolg hat, und das trotz der Tatsache, dass sie dem Gericht sehr gelegen käme.«
    »Wieso das?«
    »Weil, wenn ein allein praktizierender Anwalt das Zeitliche segnet und in den Himmel kommt, die Anwaltskammer seine Mandate erbt und sich ihrer annehmen muss.«
    »Und was ist, wenn er nicht in den Himmel kommt?«
    »Dann klagt sich ein Anwalt eben einfach ein. Sie täten das jedenfalls bestimmt.«
    »Ja, vielen Dank, wahrscheinlich. Euer Ehren?«
    »Wie dem auch sei, es ist zwar nichts Berauschendes dabei, aber Bowen hat einiges an Arbeit hinterlassen, was selbstverständlich erledigt werden muss. Und obwohl wir keine Todesvermutung ausstellen werden, solange er nicht erheblich länger vermisst ist, hat Marian Braun« - ein anderer Richter am Superior Court der Stadt - »letzten Monat verfügt, dass ihn sein Verschwinden juristisch inkompetent macht, worauf die Anwaltskammer auf Antrag des Gerichts erst gestern seine Zulassung zurückgezogen hat.«
    »Und jetzt müssen sie seine Fälle an den Mann bringen. Wenn er mein Anwalt wäre und sechs Monate lang nicht auf meine Anrufe reagiert hätte, hätte ich ihn längst gefeuert.«
    »Einige seiner Mandanten haben das auch sicher getan, aber bei weitem nicht alle.« Thomasino seufzte. »Charlie war ein Freund von mir. Seine Frau ist auf das Geld, das von seinen Fällen noch hereinkommt, dringend angewiesen. Deshalb
sähe ich es gern, wenn die Kammer diese Mandate in die Hände eines Kollegen legt, der die Sache in ihrem Sinn abwickelt. Um es kurz zu machen, ich
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