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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
Autoren: Nora Melling
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entgegen. Sehen zu mir und zu den zwei Gegnern. Sie umkreisen mich geduckt. Lautlos. Drohend. Aber sie greifen nicht an. Ich sitze da und halte meinen blutenden Fußknöchel, als könnte ich mit der Hand den Schmerz wegdrücken. Die Wunde ist nicht tief. Ich drücke ein Papiertaschentuch drauf und schiebe die Socke drüber.
    Und immer noch kein Mensch zu sehen. Niemand!
    Thursen. Er muss mich retten. Wie schon einmal. Er beobachtet mich doch. Er muss hier sein. Irgendwo. All meine Angst bricht aus mir heraus: «Thursen!»
    Mein Schrei hat sie erschreckt wie ein Wasserguss. Die Hunde springen zurück, weg von mir, laufen durcheinander. Das ist meine Chance. Sofort bin ich auf den Beinen. Mein Herz hämmert. Wohin soll ich?
    Und ich merke, ich kann nicht laufen! Gehen, humpeln mit meinem zerbissenen Fuß, das ja. Aber niemals schneller laufen als die wilden Hunde.
    «Thursen, hilf mir!», brülle ich nochmal, so laut, dass meine Lunge schmerzt. Und wenn es zehnmal sinnlos ist. Ich hätte ihn doch gesehen, wenn er da wäre. Wenn er hier irgendwo wäre, hätte er sich gezeigt. Trotzdem tut es gut, seinen Namen zu rufen. Als hätte man einen Schutzengel.
    Als wäre man nicht ganz allein.
    Niemand wird kommen.
    Es raschelt wieder, aber diesmal ist das Geräusch anders.
    Kein Wolf, ein anderes Tier.
    Menschenschritte?
    Kommt doch jemand? Irgendjemand?
    Es ist zu dunkel, um klar zu sehen.
    Das kann nicht sein.
    «Thursen?»
    Er ist da. Schlank und aufrecht steht er zwischen den Bäumen. Sein langer Mantel weht ihm nach, als er aus dem Schatten tritt und auf mich zukommt, erstes Mondlicht auf dem kinnlangen anthrazitgrauen Haar. Ein Blick von ihm, hochgezogene Augenbrauen, und die Hunde, die mich belauern, ziehen sich mit gesenkten Köpfen zurück. Meine Hände zittern. Mein Herz hämmert schneller. Schneller noch als eben vor Angst. Thursen. Seine Hände umfassen meine Schultern. Wie gerne hätte ich die Wärme seiner Hände durch meine Jacke gespürt. Er ist so nah, endlich, und ich sehe ihn an. Will keinen Quadratmillimeter seines Gesichts übersehen. Die Wangenknochen und der Mund, die geschwungenen Augenbrauen. Seine Iris sturmgrau wie in meinen Träumen. Aber, anders als im Traum, ist da keine Wiedersehensfreude in seinen Augen. Natürlich nicht. «Du hättest nicht herkommen sollen, Luisa», sagt er leise.
    Ich muss schlucken.
    «Thursen?», ruft ein Mädchen, schreit es fast. Sie steht ein Stück entfernt beim Holunderbusch. Ich hätte sie doch sehen müssen! Wo war sie, als mich die Hunde angriffen? «Bist du das, Thursen?» Mit großen dunklen Augen starrt sie ihn an, als wüchsen ihm Hörner. Selbst die Hunde sind stumm. Was ist los? Was ist anders an ihm? Er trägt denselben langen Mantel wie letztes Mal.
    «Es ist in Ordnung, Sjöll!», beruhigt er sie. Dreht sichnicht um und nimmt seine Hände nicht von meinen Schultern. Ist es Absicht, dass er zwischen mir und den Hunden steht?
    «Hast du sie hergebracht?» Eine tiefe Stimme hinter uns. Drohend. Kein Junge mehr. Ein Mann. Ich drehe mich um. Ein Mann in abgewetzter Lederjacke. Genauso schattendunkle Kleidung wie die anderen beiden. Daneben steht der magere Junge aus der Einkaufsstraße. Neben dem Lederjackenmann sieht er fast wie ein Kind aus.
    Natürlich. Sie verstecken sich. Nicht nur Thursen. Sie verstecken sich alle, leben im Verborgenen. Denken sie, Thursen hätte mir ihr Versteck verraten? «Thursen hat nichts damit zu tun. Ihm da bin ich gefolgt. Heimlich!», sage ich und zeige auf den Jungen. Der sieht mich an, geduckt, fluchtbereit, wie Thursens Hund es immer ist.
    «Kannst du nicht aufpassen, Karr!», knurrt der Mann, fast wie die Hunde eben.
    «Lass ihn, Norrock», sagt Thursen. «Wir klären das später. Erst bringe ich sie zurück.»
    Norrock nickt Thursen zu, klopft Karr auf die Schulter und geht.
    Thursen nimmt wortlos meine Hand, wie bei einem störrischen Kind. Mit einem Schwung reiße ich sie aus seinem Griff. Fast sieht es aus, als hätte ich ihn geschlagen. «Ich will nicht zurück! Ich will mit dir reden. Verdammt, ich will nicht weggeschickt werden wie ein unartiges Gör!»
    Ungerührt greift er wieder zu. Diesmal fester. «Wir reden wann anders darüber. Nicht hier. Nicht jetzt. Komm weg hier aus dem Lager.» Er dreht sich um und schleppt mich in die Richtung, aus der ich wohl gekommen bin. Ich habe völlig die Orientierung verloren.
    Ich sträube mich, kämpfe. «Du wirst mich nicht los. Du kannst mir doch nicht einfach so das Leben
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