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Schafkopf

Schafkopf

Titel: Schafkopf
Autoren: Andreas Föhr
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Händen sickerte Blut auf seine Hose und weiter auf den Gipfel der Halserspitze. Zimbeck betrachtete ungläubig seine blutverschmierten Hände. Die Hand mit der Pistole drehte sich langsam vom blutigen Bauch weg, ein Schuss löste sich, traf Susi ins Bein. Sie knickte ein, stolperte nach hinten. Das Geröll gab unter ihr nach. Die Beine rutschten weg. Susi ließ sich nach vorn auf den Boden fallen und versuchte, sich festzuhalten, bekam aber nur lose Erdbrocken zu fassen und verschwand mit einem erstickten, spitzen Schrei im Abgrund. Zimbeck starrte auf die Stelle, an der Susi vor einer Sekunde noch gestanden hatte. Die Stelle, an der jetzt nichts mehr war, nur freie Sicht auf den Alpenhauptkamm. Zimbeck stöhnte. Es war weniger seine Wunde, die ihn stöhnen ließ, als der Seelenschmerz. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er schrie Susis Namen hinaus, dass es von den Bergen widerhallte. Schließlich stand er mit Mühe auf. Er hatte schon viel Blut verloren.
    »Herr Zimbeck – lassen Sie das!«, sagte Wallner und streckte Zimbeck die Hände entgegen. Nicht um ihn abzuwehren, sondern um ihn davon abzuhalten, etwas Unbesonnenes zu tun. Doch Zimbeck beachtete Wallner nicht. Er nahm die letzten Kräfte zusammen, die er in seinem angeschossenen Körper hatte, lief los, stieß Wallner zur Seite und sprang über die Kante. Er fiel nicht weit. Schon nach zwanzig Metern Fall kam er das erste Mal auf dem steinigen Abhang auf – und dann immer wieder und wieder, bis sein gebeutelter Körper unten im Nebel verschwand.
    Nicht nur Wallner sah Zimbeck auf seinem letzten Weg nach. Zwei Meter unterhalb von Wallner standen Kreuthner und Susi. Kreuthner war, während Wallner mit Zimbeck geredet hatte, um den Gipfel herumgeschlichen und hatte das zierliche Mädchen aufgefangen, als sie, von Zimbecks Schuss getroffen, abgerutscht war.
    »Geht’s euch gut?«
    Kreuthner nickte. Susi lehnte mit leerem Gesicht an einem Felsen, hielt sich ihr verletztes Bein und starrte den Berg hinab. Wallner drehte sich um und schaute den Pfad entlang, auf dem sie gekommen waren. Am anderen Ende des Bergkammes erhob sich im Westen der Schildenstein. Dort oben neben dem Gipfelkreuz standen zwei Menschen und winkten.

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68 . Kapitel
    4 . Oktober 2009 , 5  Uhr 55 : Er stellte den Wagen in einiger Entfernung vom Wirtshaus ab. So dass Zimbeck ihn nicht sehen konnte, wenn er aus dem Haus kam. Falcking ließ das Seitenfenster nach unten fahren. Die Luft draußen war klamm von der nahen Mangfall und vom Morgentau. Auch morgendlich kühl, wenngleich man ein warmes Föhnlüftlein spüren konnte. Der Himmel war klar, die Sterne durch die Bäume deutlich zu sehen.
    Falcking hatte letzte Nacht wenig geschlafen. Er hatte keinen Alkohol getrunken, war um elf ins Bett gegangen und bis halb drei wach gelegen. Dann hatte er sich doch zwei Gläser genehmigt. Um fünf hatte der Wecker geläutet. Falcking war sofort hellwach gewesen, auf die Toilette gegangen und hatte sich erbrochen. Er würde an diesem Tag einen Menschen erschießen. Das schlug ihm auf den Magen. Der morgendlich niedrige Blutzuckerspiegel tat ein Übriges, um Falckings Seele zu verfinstern. Er saß auf seinem Bett und betrachtete den Rucksack mit dem Gewehr, den er am Abend vorbereitet hatte. Ein Präzisionsgewehr der Marke Dragunow. Ein ehemaliger Mandant, für den Falcking in einem Strafprozess wegen Drogenhandels – mehr oder weniger zufällig – einen Freispruch erwirkt hatte, war Falcking noch einen Gefallen schuldig gewesen und hatte ihm die Adresse eine Mannes in München genannt, der mit Waffen handelte, die von korrupten Armeeangehörigen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion verschoben und nach Deutschland geschmuggelt wurden. Der Mann hatte zu einer Dragunow geraten, einem Modell, das sich in Heckenschützenkreisen großer Wertschätzung erfreute. Falcking dachte einen Augenblick darüber nach, ob es nicht die bessere Lösung wäre, sich den Lauf der Waffe in den Mund zu stecken und abzudrücken. Er hatte freilich geahnt, dass er weich werden würde. Deswegen befanden sich neben dem Bett eine Packung Traubenzuckerbonbons und ein Zettel, auf dem Falcking notiert hatte, warum er sein Vorhaben gegen alle inneren Widerstände dennoch durchführen würde:
    Erstens hatte Zimbeck ihm fast zweihunderttausend Euro gestohlen. Falcking hatte das Recht, sich dieses Geld zurückzuholen. Oder zumindest die sechzigtausend, die er noch kriegen konnte. Anders als durch Zimbecks Tod war das
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