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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart
Autoren: Lili Wilkinson
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Fenster und schob die Vorhänge zur Seite. Ein dunkles gelbliches Nichts tat sich vor ihr auf. Alter, schmutzig grauer Schnee lag auf dem Fenstersims. Ihr kam alles stumpf und erstickend vor.
    Sie zog die Vorhänge wieder zu und suchte in ihrer Kommode nach warmen Sachen. Die Fächer waren reichlich mit frischer weißer Leinenwäsche bestückt. Hannah öffnete eine Schublade nach der anderen und entdeckte schließlich ein Paar dicke Wollsocken. Die zog sie an und fand auch noch ein gestricktes Schultertuch. Sie rieb ihre Oberarme, damit sie warm wurden, und schlug das Tuch eng um sich.
    Dann ging sie nach unten. In dem leeren Haus hallte das Knarren der Stufen wider. Hannah war bisher nie richtig allein gewesen, immer waren Diener da. Sie klammerte sich an das Treppengeländer und atmete tief ein. Angst wollte sie nicht zulassen.
    Im Salon glühte nur noch eine einzige Kohle im Kamin. Hannah holte neue Kohlenstücke aus dem Eimer undhäufte sie auf den Feuerrost. Die kirschrote Kohle wurde stumpf und fing beängstigend an zu qualmen. Hannah blickte sich suchend um. Sie brauchte etwas Brennbares. Sie rannte ins Speisezimmer. Auf einer Ablage entdeckte sie ordentlich gefaltet einen Stapel Zeitungen für ihren Vater. Hannah sah auf das Datum. Sie waren vier Tage alt. Sie packte den ganzen Stapel und rannte in den Salon zurück.
    Das Kohlenstückchen glühte kaum noch. Hannah riss einen dünnen Streifen Zeitungspapier ab und legte ihn vorsichtig auf die Kohle. Sie wollte nicht wieder Gefahr laufen, sie zu ersticken. Die Papierränder glühten rot auf, dann flackerte plötzlich eine Flamme empor und war genauso schnell wieder erloschen. Hannah riss noch einen Papierstreifen ab, diesmal einen längeren, und versuchte es erneut.
    »Brenn«, murmelte sie. »Brenn.«
    Sie starrte hoffnungsvoll in den Kamin. Dann nahm sie eine ganze Zeitungsseite, zerknüllte sie und schob sie dicht an die glühende Kohle heran. Das Papier schwelte erst und flammte dann gelb auf.
    Nach ungefähr einer Stunde hatte Hannah vier Ausgaben der
Morning Post
und zwei Ausgaben der
Times
aufgebraucht. Erschöpft, aber etwas beruhigter ließ sie sich auf ihre Fersen nieder.
    Das Feuer im Kamin brannte zwar nicht so munter wie sonst, trotzdem gab das schiefe Kohlenhäufchen etwasWärme ab. Hannah klopfte sich Kohlenstaub und Zeitungsschnipsel vom Nachthemd. Ihr Magen knurrte. Es war Zeit fürs Frühstück.
    Ganz zufrieden mit sich ging sie in die Küche hinunter, wo sie ein altbackenes Brot, ein Schälchen Butter und ein Messer fand.
    Wieder im Salon setzte sie sich in einen der Chintzsessel, kaute auf dem harten Kanten herum und überdachte ihre Lage.
    Es gab keine Diener mehr. Es gab kein Essen. Das Feuer brannte zwar, aber wie lange? Und die Zeitungen waren auch fast weg.
    Hannah besaß kein eigenes Geld – ihr Vater kaufte ihr alles, was sie sich wünschte. Er fand es vulgär, wenn eine Frau mit Geld hantierte. Nicht
ladylike
, wie er sagte.
Unschicklich
. Aber vielleicht befand sich in seinem Zimmer etwas Geld.
    In seinem Schrank lagerten Unmengen ungestärkter weißer Leinentücher, die darauf warteten, gebügelt und in kunstvolle Krawatten geschlungen zu werden. Hannah entdeckte auch einige andere merkwürdige Leinenstücke, von denen sie annahm, dass es sich um Unterwäsche handelte. Sie errötete und legte sie hastig wieder zurück. Dann ging sie zum Nachttisch hinüber.
    Er war von Tiegelchen und Fläschchen übersät, auf denen die verführerischsten Namen standen.
Pomade de Neroles
war eine dunkle, bröckelige Masse, die nach Veilchenduftete.
Olympian Dew
war durchsichtig und klebrig wie Honig.
Liquid Bloom of Roses
war dunkelrot und wachsweich.
Pearl of India
war ein zart duftender, feiner weißer Puder.
    Außerdem gab es Nagelscheren, Rasierzeug und andere seltsame Gerätschaften, deren Funktion Hannah nicht einmal erahnen konnte. Sie wunderte sich aber, dass ein so gut aussehender Herr wie ihr Vater derart viele Utensilien benötigte.
    Geld fand sie keines.

    Der Mann in der Ecke hielt Hannah die ganze Nacht lang mit seinem rasselnden, keuchenden Husten wach. Allein vom Zuhören bekam sie selbst einen kratzigen Hals.
    Am nächsten Morgen schwitzte er stark und zitterte am ganzen Leib. Einer der Mithäftlinge wollte ihm etwas Wasser einflößen, aber der Mann konnte nicht schlucken. Er verkroch sich in die hinterste Ecke, schirmte seine Augen ab und murmelte und stöhnte vor sich hin, dabei zuckte sein ganzer Körper.
    Nach zwei Tagen
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