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Russische Volksmaerchen

Russische Volksmaerchen

Titel: Russische Volksmaerchen
Autoren: Anton Dietrich
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Meere man sich beständig warm und von Stürmen frei dachte. Schemachanische Seide ist persische Seide (von Schemachan ), die wegen ihrer Güte jeder andern vorgezogen wird. Wenn der fahrende oder auf Abenteuer ausziehende Ritter von seinen Aeltern den Segen erhalten hat, entlassen sie ihn nach allen vier Seiten, d. h. sie lassen ihn ziehen, wohin oder nach welcher Seite er will. Der siegende Ritter macht bisweilen Brüderschaft mit dem besiegten, d. h. er schließt mit ihm ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündniß; der Sieger wird dann der ältere Bruder, d. h. er steht dem Ansehen nach höher, als der jüngere oder besiegte. Die meisten Personen in diesen Märchen haben, wie es unter den gemeinen Leuten in Rußland noch der Fall ist, keine Familiennamen, sondern werden bei ihren Vor- und Vaternamen genannt. Die patronymische Endung ewitsch und owitsch bedeutet Sohn, ewna und owna Tochter. So heißt der jetzige Kaiser von Rußland Nikolai Paulowitsch, als Sohn des Kaisers Paul, seine Schwester Maria Paulowna, als Tochter desselben. Noch jetzt ist es in Rußland unter allen Ständen gebräuchlich, sich mit Uebergehung aller Titulaturen schlechthin bei den Vor- und Vaternamen anzureden. Ebenso ist Zarewitsch der Sohn, Zarewna die Tochter eines Zaren, Korolewitsch der Sohn, Korolewna die Tochter eines Königs. Ich habe es für zweckmäßig gehalten, die Eigennamen überall in ihrer eigenthümlichen russischen Form wiederzugeben. Iwanuschka, Wanuschka und Iwaschka sind Verkleinerungsformen von Iwan (Johann) und Ilijuschka von Ilija (Elias).
    Was nun die Uebersetzung anlangt, so bin ich wie das bereits in dem beurtheilenden Vorwort erwähnt worden, so genau als möglich, den Urschriften gefolgt und habe, um die eigenthümliche Färbung derselben nicht zu verwischen, selbst kein Bedenken getragen, Wendungen und Formen beizubehalten, die dem Geiste unserer Sprache einigermaßen fremd sind, wenn sie demselben nur nicht geradezu widerstanden. Die Aufnahme des sehr kurzen ursprünglich deutschen Märchens Nr. 15. entschuldige die in der hier wiedergegebenen Form ziemlich allgemeine Verbreitung desselben in Rußland. Einige allgemeine Anmerkungen über manche Einzelheiten findet man im kurzen Anhange; da wo dieselben besonders nothwendig waren, ist auf sie verwiesen worden.
    Die Fortsetzung dieser Sammlung wird ganz von der Theilnahme des Publikums abhängen. Ich habe unter den Urschriften keine besondere Auswahl getroffen, sondern theile hier den eben übersetzten Vorrath mit, von dem ich nur das Unbrauchbare ausschloß. Das später zu Gebende wird daher das Vorliegende an innerm Gehalte nicht übertreffen, ihm aber auch nicht nachstehen, wie das in Friedrich Kind's Taschenb. z. gesell. Vergnügen für d. J. 1832. S. 285. abgedruckte Märchen beweisen kann.
    Pirna, d. 30. Oktober 1831.
Anton Dietrich.
     

1. Märchen von Ljubim Zarewitsch, von der schönen Prinzeß, seiner Gemahlin, und vom geflügelten Wolfe.
     
    In einem Reiche, in einer Herrschaft lebte ein Zar, namens Elidar Elidarowitsch, mit seiner Gemahlin Militissa Ibrahimowna; die hatten drei Söhne: der älteste Sohn hieß Aksof Zarewitsch, der mittelste Hut Zarewitsch und der jüngste Ljubim Zarewitsch. Und sie wuchsen nicht nach Tagen, sondern nach Stunden; und als der älteste Sohn zwanzig Jahr alt war, fing er an, seine Aeltern um Erlaubnis zu bitten, in andere Königreiche zu reisen und eine schöne Prinzeß für sich zur Gemahlin zu suchen. Die Aeltern willigten darein, gaben ihm ihren Segen und entließen ihn nach allen vier Seiten. Nicht lange nach der Abreise Aksof's bat auch Hut Zarewitsch seine Aeltern, ihn zu entlassen, und Zar Elidar und die Zarin Militissa entließen auch Hut Zarewitsch mit größtem Vergnügen. Und so reiste auch Hut Zarewitsch ab, und sie wanderten lange Zeit, daß endlich nichts mehr von ihnen zu sehen und zu hören war und sie für verloren gehalten wurden.
    Als Zar Elidar mit der Zarin Militissa sich sehr über sie betrübte und weinte, bat auch ihr jüngster Sohn Ljubim Zarewitsch, sie möchten ihn entlassen, damit er seine Brüder aufsuche. Darauf sagte Zar Elidar und seine Zarin Militissa zu ihm: »Du bist noch jung und kannst eine so weite Reise nicht aushalten. Wie sollten wir dich übrigens auch entlassen, da du als der einzige Sohn uns übrig geblieben bist? Wir sind schon bei Jahren; wem sollten wir unsere Krone aufsetzen?« – Dennoch ließ sich ihr Sohn Ljubim Zarewitsch nicht abweisen, sondern blieb standhaft
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