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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz
Autoren: Werner Bräunig
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Loose dachte: Gitta hatte auch so einen Ring, nur war da der Stein grün, aber es war das gleiche Blech. Er kippte den Schnaps hinunter, den sie vor ihn hingestellt hatte, und sagte: »Machst du das schon lange, mit den Gläsern hier und dem Wasser und der Kneipe?«
    Das Mädchen sagte: »Ja, seit sechs Monaten.«
    »Und wann hast du Feierabend?«
    Das Mädchen sah ihn eine Weile an, dann verlangten die |33| Würfelbecher wieder Wodka, sie ging zu ihnen und schenkte ein und kam dann zurück, sie legte wieder die sehr schmalen Hände auf das verchromte Blech des Schanktisches und sagte leise und ohne ihn anzusehen: »Haben wir uns nicht irgendwo schon mal gesehen?«
    »Nein«, sagte Loose. »Ich bin heute erst angekommen.« Die heisere Stimme sang: »Das Treusein, so sprach er, ich kann es … Versuch es, ich war’s zwar noch nie.« Und dann mit triumphierender Lustigkeit: »Wird’s ein Knabe, so nenn ihn Johannes; wird’s ein Mädchen, so nenn es Marie …«
    Das Mädchen nahm das Glas von der Theke und fragte: »Noch einen?«
    »Nein«, sagte er. »Ich muß dann weg. Und was ist?«
    Aber sie gab keine Antwort. Sie ging wieder zu denen mit dem Würfelbecher, goß Schnaps in die Gläser, ließ Bier einlaufen, sie wischte mit einem Lappen über das verchromte Metall der Schankarmaturen, sie spülte Gläser, spießte die Kassenzettel auf einen Nagel, sie kassierte Geld für Zigaretten, sie war jetzt wirklich sehr beschäftigt, und sie schien nicht unzufrieden darüber. Dann also nicht, dachte Loose. Dann also nicht. Aber er wußte auch, daß man nicht zu früh aufgeben durfte und daß sich vielleicht gerade jetzt etwas entschied, oder daß es sich bereits entschieden hatte und nur noch nicht ausgesprochen war. Und manchmal wurde auch gar nichts ausgesprochen, das waren vielleicht sogar die besten Antworten.
    Er blieb also an der Theke. Er schielte zu Christian hinüber, der vor dem zweiten Bier saß und sich mit dem Hilfspolizisten unterhielt. Es sah allerdings eher aus, als unterhielte sich der Hilfspolizist. Loose stand eine ganze Weile, und die mit dem Würfelbecher füllten indessen Schnaps in sich hinein, und die Stimme im Hintergrund schrillte immer wieder auf und stürzte immer wieder in sich zusammen, es war eine Menge Betrunkener in der Kneipe, und die mit dem Würfelbecher gehörten jetzt auch dazu, Loose wußte bereits, |34| daß sie von der Nachtschicht gekommen waren und daß heute Lohntag war. Er konnte durch das Fenster auf den Bahnhofsvorplatz sehen, über die Dächer dieses befremdlichen Dorfes spazierte manchmal ein Sonnenstrahl. Es war ein sonderbarer Ort, er war anders als alle Dörfer, die Loose kannte, es war, als hätte jemand ein sehr altes Dorf, eine sehr schmutzige Kleinstadt und eine sehr finstere Fabrik ineinandergerührt und dann zwischen drei Bergen auf die Erde geschüttet.
    Die drei würfelten immer noch, und sie waren jetzt wirklich sehr betrunken. Der, den sie Emmes nannten, stieß mit dem Ellenbogen ein Bierglas um und fluchte und sagte zu dem mit dem tätowierten Handrücken, daß er verdammt noch eins die Schnauze voll habe und daß die Wismut der Teufel holen solle und diese gottverfluchte Arbeit und die Russen sowieso, und überhaupt, und er brauche jetzt eine Frau.
    Aber außer dem Mädchen Ingrid war niemand in Reichweite. Er rief ihr also etwas zu, und sie nahm die Schnapsflasche und ging zu ihm, aber er wollte jetzt keinen Schnaps. Er schlug ihr mit seiner braunen Pranke auf die Schulter, er betastete sie, und als sie sich von ihm frei zu machen suchte, lallte er vor sich hin und stieß ihr seinen Schnapsatem ins Gesicht. Sie versuchte, seine Hände abzuschütteln, und redete auf ihn ein, aber gegen diesen Griff kam sie nicht an. Sie wand sich und stemmte die Arme mit den zerbrechlichen Handgelenken gegen seine Brust, sie sah sich mit einem hilflosen Blick um, für einen Augenblick gelang es ihr, die eine Hand freizubekommen, aber er griff sofort wieder zu, und er war jetzt richtig vergnügt. Die beiden anderen standen dabei und grinsten. Niemand fand etwas dabei. Sie tranken weiter ihr Bier und führten ihre Gespräche weiter, der Lärm hing im Raum, und der Kellner schleppte sein Tablett durch die Tischreihen, die Skatspieler am dritten Tisch paßten und mauerten und mauerten und paßten, niemand interessierte sich für das, was am nächsten Tisch geschah, nur die grellgeschminkte |35| Matrone am Ecktisch warf einen Blick hinüber, schmatzte mit den Lippen, sie hatte das
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