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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs
Autoren: Sorj Chalandon
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Tage nach Belfast, wurde London bombardiert. Al Bowlly erwischte es zu Hause, eine explodierende Fallschirm-Mine sprengte ihn in die Luft. In der Woche darauf spielte die BBC seine Ballade als Trauerhymne.
    Vor einer Hausruine in der Crumlin Road standen ein paar Feuerwehrleute in einer Menschenmenge. Ohne feuersichere Schuhe, die Mäntel vom Löschwasser aufgeweicht.
    »Das sind Iren aus Irland!«, schrie einer.
    Der Hauptmann erteilte knappe Befehle. Und ich erkannte den Klang meines Landes. Der Wagen der Dublin Fire Brigade. Iren! Dreizehn Feuerwehrbrigaden hatten morgens die Grenze überquert. Selbst aus Dundalk und Drogheda waren welche gekommen. Anwohner boten ihnen Kaffee und Brot an. Iren! Ich ging zu ihnen hin. Alle sollten wissen, dass sie und ich aus demselben Land waren. Jedem, der sich unter die Gruppe mischte, verkündete ich die große Neuigkeit. Iren waren gekommen, um zu helfen. Ich musste an den Grenzsoldaten mit dem blonden Schnauzbart denken.
    »Kommst du, um gegen die Jerrys zu kämpfen?«
    Und wie!
    Eine alte Frau trat mit erhobenen Armen, wie eine Gefangene, aus den Trümmern ihres Hauses. Sie hielt den Dubliner Akzent für Deutsch. Sie war verrückt, voll Ruß und Gips. Als man ihr das irische Feuerwehrauto zeigte, setzte sie sich auf den Bürgersteig und schüttelte den Kopf, überzeugt, der Bombensturm habe sie ans andere Ende des Landes verweht.
    Der Auflauf dehnte sich auf die Straße aus. Soldaten zerstreuten ihn. Sie stießen den Journalisten vom »Belfast Telegraph« zurück und konfiszierten seine Fotos. Lawrence erklärte mir alles. Irland war neutral, jedes Eingreifen auf Seiten einer Krieg führenden Partei, und sei es nur zum Feuerlöschen, könnte die irische Regierung in Bedrängnis bringen. Also kehrten unsere Feuerwehrleute noch am selben Tag über die Grenze zurück.
    Wir verfielen von Trauer in Zorn. Ich lauschte der zerstörten Stadt. Satzfetzen. »Ich habe nie gern Fenster geputzt. Jetzt brauche ich es nicht mehr«, hatte ein Händler auf seine zerbrochene Auslagenscheibe geschrieben. An der Ecke Victoria / Ann Street stand ein Mann auf einem Haufen Mauersteine und schrie, Nordirland werde nicht geschützt. Jede englische Stadt dagegen hätte Bombenkeller, eine Luftabwehr, Truppen und eine richtige Feuerwehr.
    »Wisst ihr, wie viele Luftabwehrgeschütze wir haben, wisst ihr das?«, brüllte er.
    Er wartete auf Antwort, aber viele gingen einfach weiter, weil sie es peinlich fanden.
    »Zwanzig vielleicht in ganz Ulster. Und Luftschutzkeller? Vier! Aber nur, wenn man die öffentlichen Toiletten in der Victoria Street mitrechnet. Und Scheinwerfer? Wie viele Lichtbündel, um Flugzeuge auszumachen? Wie viele, na? Ein Dutzend. Heute Nacht waren mehr als zweihundert Bomber über uns. Die besten, die die Krauts haben. Junker! Dornier! Und was haben wir?«
    »Scheißpapist«, schimpfte einer und ging vorüber, ohne sich umzudrehen.
    Der Redner zeigte ihm seine Faust.
    »Trottel! Ich bin ein loyaler Protestant! Brite wie du! Mitglied des Oranier-Ordens von Coleraine, du hast mir gar nichts zu sagen!«
    Dann stieg er herunter von seinem Bruchsteinhaufen. Schlug seinen Jackenkragen hoch, setzte seinen weichen Hut wieder auf und murmelte noch einmal: »Trottel!«
    Ein Protestant. Der erste meines Lebens.

3
    Killybegs, Sonntag, 24. Dezember 2006
    Ich bin oft nach Killybegs zurückgekehrt, ins Haus meines Vaters. Noch heute gibt es dort weder Strom noch Wasser. Ich habe es so gelassen, um die Spuren und Schatten darin zu bewahren. Von Mama, die vor dem Kamin hockt und mit gespitzten Lippen die Glut anfacht. Von meinem Vater, der, das Kinn in die Fäuste gestützt, am Tisch sitzt und wartet, dass der Regen aufhört.
    Sheila, meine Frau, hat mich nie gern in das Cottage begleitet. Für sie ist es wie ein Grab. Sie meint, dass der böse Schatten von Patraig Meehan in meinen Blick fährt, wenn ich unter seinem Dach wohne. Meine Geschwister waren auch nicht mehr hier. Außer Baby Sara sind alle ins Exil gegangen, nach Amerika, England, Australien, Neuseeland. Also habe ich den Schlüssel behalten. Nur ich. Wie man einen Fetzen Erinnerung aufhebt. Seit den Sechzigerjahren habe ich hier immer Zuflucht gefunden. Habe Belfast verlassen, die Stadt, die Angst, die Briten. Die Grenze passiert. Das Irland unserer Fahne besucht. Von Zeit zu Zeit, für ein paar Tage oder Wochen. Wasser vom Brunnen holen und vor dem schwarzen Kamin zittern. Im Wald einen Armvoll Holz sammeln für die Nacht. Nur vom
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