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Rotglut

Rotglut

Titel: Rotglut
Autoren: Liliane u Rist Biggi Skalecki
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Die Bremer Stadtmusikanten, die den kleinen Teller zieren, werden unter Saskias zermatschtem Frühstück begraben.
    »Also, Hannelore, das da ist aber noch ekliger als Leberwurst auf Butter.« Raimund schüttelt sich, nimmt einen Schluck Kaffee und verschanzt sich hinter der Zeitung.
    Schnell blättert er sie durch, viel Zeit hat er nicht mehr, dann muss er zu Ronni in die Firma. Die Hauptschlagzeile ist natürlich das Bombenattentat am Bremer Hauptbahnhof vom Samstag. Als er die Zeilen verschlungen hat, blättert er weiter.
    Plötzlich stutzt er, liest die Überschrift eines kleineren Artikels.
    ›Exanarchist erschossen. Berlin. (dpa)‹
    Was war da denn schon wieder in Berlin los gewesen? Schon beim ersten Satz stockt ihm der Atem, er nimmt nicht wahr, dass Hannelore ihn bittet, den Müll mit runterzunehmen, und dass Saskia ihre Tasse Kakao halb auf ihrem Teller entleert.
    ›Der 31-jährige Enno H., ein ehemaliges Mitglied der Anarchistengruppe ›2. Juni‹, ist erschossen aufgefunden worden. Amerikanische Soldaten fanden den durch einen Kopfschuss lebensgefährlich Verletzten während einer Nachtübung im Westberliner Bezirk Zehlendorf. 8 Obwohl sie sofort ein Sanitätsfahrzeug zur Fundstelle beorderten, kam für H. jede Hilfe zu spät. An einem Racheakt ist nicht zu zweifeln. H. war erst vor sechs Wochen von einer Strafkammer des Landgerichts Berlin zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Er hatte sich für schuldig bekannt, an zwei misslungenen Sprengstoffattentaten beteiligt gewesen zu sein. H. war vor Antritt der Strafe untergetaucht. Während des Prozesses hatte er einige seiner ehemaligen Komplizen schwer belastet und ihre Namen preisgegeben. Drei RAF-Mitglieder – Inge Viett, Harald Sommerfeld und Verena Becker – hätten den Anschlag auf den britischen Jachtclub verübt und seien an Banküberfällen beteiligt gewesen, bei denen rund 29.000 Mark erbeutet worden waren.
    Die Anarchistenbewegung ›2. Juni‹ hat sich offensichtlich zur Ermordung von H. bekannt. In einem Schreiben an die Deutsche Presseagentur, das bei einer Frankfurter Zeitung einging, erklärt die Bewegung, ›ihr ehemaliges Mitglied sei von einem Kommando der Bewegung als Verräter und Konterrevolutionär hingerichtet worden. Die Verurteilung zum Tode sei zuvor von einem entsprechenden ›Volkstribunal‹ beschlossen worden‹, so der Originaltext.‹
    Raimund faltet langsam die Zeitung zusammen, klemmt sie sich unter den Arm und geht schweigend aufs Klo. Er muss nachdenken. Enno ist tot – noch vor ein paar Wochen hat Raimund in der ›Roten Ameise‹ geglaubt, in einem Gespräch Ennos Namen im Zusammenhang mit irgendeiner Sache in Berlin vernommen zu haben. Enno selbst war drauf und dran gewesen, ihm zu erzählen, was er in Berlin so treibt. Er hatte abgewunken, hatte nichts davon hören wollen. Stegmann hatte Stock davon berichtet. War es womöglich seine Schuld, dass Enno geschnappt und verurteilt worden war? Aber warum sollte Enno während des Prozesses seine Leute verpfeifen? Raimund kann sich keinen Reim darauf machen. Außer …, ja außer, man hat Enno etwas dafür versprochen, dass er auspackt oder sie hatten ihn gelinkt. Und wer konnte dazu in der Lage sein, wenn nicht Leute wie Stock. Die gab es auch haufenweise in Berlin. Anders kann Stegmann sich das nicht erklären. Wenn die Mitglieder des ›2. Juni‹ das herausgefunden haben … Na, dass sie dann Enno ausschalten, war ja wohl klar. Andererseits …, andererseits, wenn man Enno ein Angebot gemacht haben sollte, damit er auspackt, wird man ihm doch wohl auch Schutz gewährt haben, denn eines muss auch den Stocks in Berlin klar gewesen sein, einen Verräter würde die Organisation in ihren Reihen nicht dulden. Nur war das wohl gründlich in die Hose gegangen. Geschützt worden war Enno dann nämlich ziemlich beschissen, sonst würde er jetzt nicht tot in irgendeinem Leichenschauhaus in Berlin liegen. Es sei denn …, es sei denn, die haben es mit dem Schutz nicht so genau genommen und Enno absichtlich über die Klinge springen lassen. Und dieser Gedanke erscheint Raimund mehr als wahrscheinlich. Scheiße, auf was hat er sich da nur eingelassen? Wie kommt er aus der Nummer nur wieder raus? Am liebsten wäre er unsichtbar, einfach weg, für diese Leute nicht mehr zu greifen.
    Raimund drückt den Hebel der Wasserspülung, zieht sich die Hose hoch, wäscht minutenlang seine Hände und überlegt. Dann fasst er einen Entschluss. Er muss auch
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