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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar
Autoren: Sam Eastland
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Zaren so behutsam wie möglich auf den Bauch, riss den Uniformrock weg und zog ihm die Weste über die Arme. Die Weste war schwer. Er warf sie zur Seite.
    »Drei Minuten, Pekkala!«, rief Grodek herunter.
    So schnell wie möglich zog Pekkala auch den anderen Leichen die jeweils maßgeschneiderten Westen aus. Als er damit fertig war, wandte er sich von den halbnackten Leichen ab, an deren papierener Haut noch spröde Stofffetzen hingen.
    »Eine Minute noch, Pekkala!«
    Er stopfte die Westen in den Beutel, der allerdings nur die Hälfte davon aufnehmen konnte.
    »Sie werden den Beutel noch mal runterwerfen müssen. Ich kann nicht alles auf einmal hochschicken.«
    »Binden Sie ihn ans Seil!«
    Bald darauf wurde der Lederbeutel nach oben gezogen.
    Er hörte Grodek lachen.
    Gleich danach landete der Beutel wieder vor ihm auf den Boden, gefolgt vom Seil.
    Pekkala packte die übrigen Westen hinein, und auch sie wurden schwankend nach oben geschafft.
    Und plötzlich ertönte weit in der Ferne ein Schuss. Es klang wie ein knackender Zweig. Dann eine laute Stimme. Anton rief seinen Namen.
    Pekkala rappelte sich auf.
    Dann hörte er Grodeks Stimme, und darauf auch Kirow, dazwischen weitere Schüsse. Blinzelnd sah er hinauf zum Schachteingang. Ein Schrei, und plötzlich verdunkelte sich die helle Lichtscheibe. Etwas, das aussah wie ein riesiger schwarzer Vogel, kam auf ihn zugestürzt. Pekkala hatte kaum noch Zeit, auszuweichen, als die Gestalt neben ihm auf den Boden knallte.
    Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten vor ihm. Pekkala wusste nicht, wer er war.
    Erst als er ihn umdrehte, erkannte er Anton, der sich durch den Aufprall schreckliche Knochenbrüche zugezogen hatte. Blinzelnd schlug er die Augen auf, röchelte und hustete Blut. Dann hob er eine Hand und griff nach Pekkalas Arm. Pekkala hielt ihn fest, bis Antons Griff schwächer wurde. Und in diesen letzten Augenblicken, als das Leben seines Bruders in die Dunkelheit entschwand, musste Pekkala an die Zeit denken, als er und Anton auf dem Hang neben dem Haus ihrer Eltern Schlitten gefahren waren. Er hörte wieder ihr Lachen und das Wispern der Schlitten, die über den gefrorenen Boden glitten.
    Anton gab einen letzten Seufzer von sich, dann verstummte er. Seine Finger lösten sich. Und das Bild, das Pekkala nur kurz zuvor noch so klar vor Augen gestanden hatte, verschwamm in einem Grau, das sich immer weiter ausbreitete, bis nichts mehr zu sehen war und er begriff, dass sein Bruder tot war.
    Pekkala versteifte sich am ganzen Körper, und sein Herzschlag schien sich zu verlangsamen wie ein Pendel, das allmählich ausschwang. Ihm war, als würde sein gesamtes Leben an den Punkt gelangen, an dem man entweder stirbt oder von neuem beginnt. Er schloss die Augen, und in dieser blinden Schwärze spürte er, wie der Tod seine Arme um ihn schlang.
    Dann hörte er ein Zischen in der Luft. Kurz darauf schlug neben ihm das Seilende auf. »Halten Sie sich fest«, rief Kirow. »Ich hol Sie raus.«
    Wieder klammerte Pekkala sich an das rauhe Hanfseil. Die Schmerzen machten sich wieder bemerkbar, aber er beachtete sie nicht mehr. Über sich hörte er, wie ein Motor angelassen wurde, dann wurde er nach oben gezogen. Er sah zurück zu seinem Bruder, der nun neben den Leichen der Romanows lag, als hätte er schon immer zu ihnen gehört.
    Dann verloren sie sich zwischen den schwarzen Schachtwänden.
    Eine Minute später zerrte Kirow ihn aus dem Schacht.
    Das Erste, was er sah, war Grodek. Er lag auf dem Bauch, seine Hände waren mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Er war an der Schulter verwundet, sein Hemd war blutgetränkt.
    »Sie müssen ihn aufhalten«, keuchte Grodek. »Er will mich umbringen.«
    Auf dem Feld stand halb verdeckt im hohen Gras ein weiterer Wagen mit zerschossener Windschutzscheibe. Dampf stieg vom durchlöcherten Kühler auf, in der schimmernd schwarzen Karosserie waren Einschusslöcher zu sehen.
    Kirow setzte den Fuß auf Grodeks Rücken und drückte den Absatz in die Schusswunde.
    Grodek schrie vor Schmerzen auf.
    Kirows Miene blieb völlig ausdruckslos.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Pekkala.
    »Als Ihr Bruder aufwachte«, erwiderte Kirow, »hat er sich vom Arzt den Wagen geliehen und ist zu mir gekommen. Er hat mir von Grodek erzählt. Natürlich haben wir nicht gewusst, wohin Sie gefahren sind. Aber dann ist mir das Buch eingefallen, ich habe die Botschaft entziffert, und wir sind so schnell wie möglich hierher. Ich wollte Grodek ablenken,
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