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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Autoren: Imre Kertész
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Artikel vor uns auf den Ladentisch. Ich machte die Beobachtung, dass der Ladenbesitzer die alte Frau «mein Kleines» nannte und dass immer sie nach den Waren laufen musste. Übrigens kenne ich das Geschäft, es liegt nicht weit von unserer Wohnung, aber drinnen war ich noch nie. Eigentlich ist es eine Art Sportgeschäft, wobei sie auch anderes anbieten. Neuerdings gibt es bei ihnen auch gelbe Sterne aus eigener Herstellung zu kaufen, denn an gelbem Stoff herrscht jetzt natürlich großer Mangel. (Was wir brauchten, hat meine Stiefmutter noch rechtzeitig besorgt.) Wenn ich es richtig sehe, besteht ihre Erfindung darin, dass der Stoff irgendwie auf ein Stück Karton gespannt ist, und das ist natürlich hübscher, ja, und dann sind auch die Zacken der Sterne nicht so lächerlich verschnitten wie bei mancher Heimanfertigung. Ich habe bemerkt, dass ihnen das eigene Produkt selbst auf der Brust prangte. Und das war, als würden sie es nur tragen, um die Käufer zu animieren.
    Aber da ist schon die alte Frau mit den Waren gekommen. Noch davor hatte der Ladenbesitzer gebeten, ihm die Frage zu gestatten, ob wir den Einkauf vielleicht im Hinblick auf den Arbeitsdienst tätigten. Das Ja hat meine Stiefmutter gesagt. Der Alte hat traurig genickt. Er hat sogar seine vergreisten, leberfleckigen Hände hochgehoben und dann mit einer Geste des Bedauerns wieder auf den Ladentisch zurücksinken lassen. Dann hat meine Stiefmutter erwähnt, dass wir einen Rucksack brauchten, und sich erkundigt, ob sie welche hätten. Der Alte hat gezögert und dann gesagt: «Für die Herrschaften ja.» Und seine Frau hat er angewiesen: «Mein Kleines, für den Herrn holst du einen aus dem Lager!» Der Rucksack war gleich der richtige. Aber der Ladenbesitzer hat seine Frau noch nach ein paar anderen Sachen geschickt, die – so meinte er – meinem Vater «dort, wo er hingeht, nicht fehlen dürfen». Im Allgemeinen sprach er sehr taktvoll und mitfühlend zu uns, und er vermied es nach Möglichkeit immer, den Ausdruck «Arbeitsdienst» zu gebrauchen. Er zeigte uns allerhand nützliche Dinge, einen luftdicht verschließbaren Blechnapf, ein Taschenmesser mit vielerlei Instrumenten, eine Umhängetasche und sonst noch Dinge, nach denen, wie er erwähnte, «unter ähnlichen Umständen» bei ihm oft gefragt werde. Meine Stiefmutter hat dann für meinen Vater das Taschenmesser gekauft. Mir gefiel es auch. Als alle Einkäufe beisammen waren, hat der Ladenbesitzer seine Frau angewiesen: «Kasse!» Darauf zwängte die alte Frau ihren weichen, in ein schwarzes Kleid gehüllten Körper unter etlichen Schwierigkeiten zwischen die Registrierkasse und einen mit Kissen gepolsterten Lehnstuhl. Der Ladenbesitzer hat uns noch bis zur Tür begleitet. Dort hat er gesagt, er hoffe, «ein andermal wieder die Ehre zu haben», dann hat er sich vertraulich zu meinem Vater gebeugt und leise hinzugefügt: «So, wie wir das meinen, der gnädige Herr und ich.»
    Jetzt endlich haben wir uns dann doch auf den Nachhauseweg gemacht. Wir wohnen in einem großen Mietshaus, in der Nähe des Platzes, wo auch die Straßenbahnhaltestelle ist. Wir waren schon auf unserem Stockwerk, als meiner Stiefmutter einfiel, dass sie vergessen hatte, die Brotmarken einzulösen. In die Bäckerei habe ich dann zurückmüssen. Den Laden konnte ich erst nach ein bisschen Schlangestehen betreten. Zuerst musste ich mich vor die blonde, großbusige Bäckersfrau hinstellen: Sie schnitt das entsprechende Quadrat von der Brotmarke ab, dann weiter, vor den Bäcker, der das Brot abwog. Er hat meinen Gruß gar nicht erwidert; es ist ja in der Gegend allgemein bekannt, dass er die Juden nicht mag. Deshalb hat er mir auch um etliche Gramm zu wenig Brot hingeworfen. Ich habe aber auch schon sagen gehört, dass auf diese Weise pro Ration etwas für ihn übrig bleibt. Und irgendwie, wegen seines wütenden Blicks und seiner geschickten Handbewegung, habe ich auf einmal die Richtigkeit seines Gedankengangs verstanden, nämlich warum er die Juden in der Tat nicht mögen kann: Sonst müsste er ja das unangenehme Gefühl haben, er betrüge sie. So hingegen verfährt er seiner Überzeugung gemäß, und sein Handeln wird von der Richtigkeit einer Idee gelenkt, was nun aber – das sah ich ein – etwas ganz anderes sein mag, natürlich.
    Ich beeilte mich, von der Bäckerei nach Hause zu kommen, da ich schon recht hungrig war, und so bin ich gerade nur auf ein Wort mit Annamaria stehen geblieben: Als ich eben die Treppe
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