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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Autoren: Imre Kertész
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die Hand fallen lassen, um bei ihr den gewohnten Handkuss zu verrichten. Dann ist er gleich zur Tür geeilt: Ich hatte kaum Zeit, beiseitezuspringen. Er hat sogar vergessen, sich von mir zu verabschieden. Nachdem er draußen war, hörten wir noch lange seine schweren Schritte auf den hölzernen Stufen.
    Nach einigem Schweigen hat mein Vater gesagt: «Na schön, um so viel wären wir jetzt leichter.» Worauf meine Stiefmutter, noch mit leicht verschleierter Stimme, meinen Vater gefragt hat, ob er den fraglichen Beleg nicht doch hätte von Herrn Sütő annehmen sollen. Doch mein Vater hat erwidert, solche Belege hätten keinerlei «praktischen Wert», abgesehen davon, dass es noch gefährlicher wäre, so etwas versteckt zu halten als die Schatulle selbst. Und er hat ihr erklärt, wir müssten jetzt «alles auf eine Karte setzen», auf die nämlich, dass wir Herrn Sütő voll und ganz vertrauen, in Anbetracht dessen, dass es für uns im Augenblick sowieso keine andere Lösung gibt. Darauf hat meine Stiefmutter nichts mehr gesagt, dann aber bemerkt, mein Vater möge wohl recht haben, sie aber würde sich trotzdem sicherer fühlen «mit einem Beleg in der Hand». Sie war allerdings nicht imstande, das entsprechend zu begründen. Mein Vater hat daraufhin zur Eile gemahnt: Die Arbeit warte, sie sollten endlich anfangen, da, wie er sagte, die Zeit drängt. Er wollte ihr nämlich die Geschäftsbücher übergeben, damit sie sich da auch ohne ihn zurechtfinden kann und das Geschäft nicht lahmliegen muss, wenn er im Arbeitslager ist. Zwischendurch hat er auch mit mir ein paar flüchtige Worte gewechselt. Er fragte, ob man mir ohne Schwierigkeiten freigegeben habe und so weiter. Schließlich sagte er, ich solle mich setzen und mich ruhig verhalten, bis er und meine Stiefmutter alles erledigt hätten mit den Büchern.
    Bloß hat das sehr lange gedauert. Eine Zeit lang versuchte ich, geduldig auszuharren, und bemühte mich, an meinen Vater zu denken, genauer daran, dass er morgen weggeht und ich ihn wahrscheinlich dann lange nicht mehr sehen werde; aber nach einer Weile war ich von diesem Gedanken müde, und da ich für meinen Vater sonst nichts tun konnte, ist es mir langweilig geworden. Auch das Herumsitzen machte sehr müde, und so bin ich, einfach um eine Abwechslung zu haben, aufgestanden und habe Wasser vom Wasserhahn getrunken. Sie haben nichts gesagt. Später bin ich auch einmal nach hinten gegangen, zwischen die Bretter, um ein kleines Geschäft zu erledigen. Als ich zurückkam, habe ich mir die Hände über dem angeschlagenen rostigen Waschbecken gewaschen, dann habe ich mein Pausenbrot aus der Schultasche gepackt und gegessen, und zum Schluss habe ich wieder vom Hahn Wasser getrunken. Sie haben nichts gesagt. Ich habe mich an meinen Platz zurückgesetzt. Dann habe ich mich noch sehr lange fürchterlich gelangweilt.
    Es war schon Mittag, als wir zur Straße hochgestiegen sind. Wieder hat es mir vor den Augen geflimmert, diesmal wegen der Helligkeit. Mein Vater hat sich lange, ich hatte fast schon das Gefühl, absichtlich, mit den beiden grauen Eisenschlössern abgemüht. Dann hat er die Schlüssel meiner Stiefmutter übergeben, da er sie ja nie mehr brauchen wird. Das weiß ich, weil er es gesagt hat. Meine Stiefmutter hat ihre Handtasche geöffnet, ich fürchtete schon, es sei wieder wegen des Taschentuchs: Aber sie hat bloß die Schlüssel versorgt. Wir haben uns in großer Eile auf den Weg gemacht. Nach Hause, wie ich anfangs dachte; doch nein, wir sind zuerst noch einkaufen gegangen. Meine Stiefmutter hatte eine ganz ausführliche Liste von all den Dingen, die mein Vater im Arbeitslager brauchen würde. Um einen Teil hatte sie sich schon gestern gekümmert. Den anderen hingegen mussten wir jetzt besorgen. Es war irgendwie ein bisschen unbehaglich, mit ihnen zu gehen, so zu dritt und alle drei mit dem gelben Stern. Wenn ich allein bin, amüsiert mich die Sache eher. Mit ihnen zusammen hatte es beinahe etwas Unangenehmes. Ich könnte nicht erklären, warum. Später habe ich dann nicht mehr darauf geachtet. In den Geschäften waren überall viele Leute, außer in dem, wo wir den Rucksack kauften: Da waren wir die einzigen Kunden. Die Luft war ganz durchtränkt mit dem scharfen Geruch von präpariertem Leinen. Der Ladenbesitzer, ein vergilbtes altes Männchen, mit einem blitzenden künstlichen Gebiss und Ärmelschonern über den Ellbogen, und seine dicke Frau waren sehr freundlich zu uns. Sie häuften die verschiedensten
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