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Roman

Roman

Titel: Roman
Autoren: Jeri Smith-Ready
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stöhnt auf. »Zeit, arbeiten zu gehen!« Sie steht auf und faltet ihr Handtuch zusammen. Es ist gut, dass sie endlich aus der Sonne geht. Ihr Gesicht ist bereits so rot wie das eines Marathonläufers, der gerade eben die Ziellinie erreicht hat. »Gehst du nachher noch auf einen Drink in die Bar?«
    »Klar doch. Danke für den Einblick in die Geisterwelt.«
    »Du wirst noch glau…auben!« Sie summt die Titelmelodie von Akte X , während sie in ihren Flip-Flops davonschlurft.
    Ich überfliege die fett gedruckten Einträge in der Mega-Enzyklopädie. Bisher keine ungewöhnlichen Fakten, nichts, was mir einen Hinweis auf das große Ziel von Wimp -Radio geben kann.
    Meine Badetasche ist vollgestopft mit ungelesenen Büchern: zwei Bände über die Geschichte des Rundfunks, ein Buch über Frauen im Rock ’n’ Roll und ein abgegriffener, aber trotzdem prächtiger Bildband über amerikanische Folkmusik und Roots-Rock.
    In dem Bildband steckt etwas, das ihn zusätzlich dicker macht – etwas, das dick genug ist, um selbst ein Buch zu sein.
    Ich ziehe den blinden Passagier heraus. Es ist eine umfangreiche Broschüre. Die Rückseite ist gelb und bietet als Information nur das Copyright-Datum von 1954. Ich schlage das Büchlein auf.
    »Oh, wie niedlich!«
    Der Titel, gesetzt in einfacher Maschinenschrift, lautet: Die Wahrheit über Vampire . Das Heft sieht aus wie eine Informationsbroschüre, als wäre sie Teil einer staatlich geförderten Reihe zur Panikmache unter der Bevölkerung, mit Titeln wie: Marihuana – Sprungbrett in die Verzweiflung oder Es sind nicht nur große Schuppen – Wie man Kopfläuse erkennt .
    Die Broschüre besteht aus dreißig Seiten Dünndruckpapier, der Text ist in kurze Kapitel unterteilt. Ich lehne mich auf der Sonnenliege zurück und beginne zu lesen. Das Heftchen ist nicht Teil von Davids Lehrplan, da bin ich mir sicher. Aber es wird mich höchstens nur zehn Minuten kosten, es durchzulesen.
    Ja, ja, sie ernähren sich von Blut … okay, sie können nicht im Tageslicht existieren, bla-bla-bla, sind sehr manipulativ, et cetera, et cetera. Klingt für mich sehr nach rezitierten Klischees – Anne Rice mal eben aufgewärmt. Aber, hey, schließlich verschlinge ich diese trendigen Vampirromane, als wären es heroingetränkte Kartoffelchips! Allein zu Unterhaltungszwecken lese ich also weiter.
    Ich blättere vor und suche nach der großen bösen Wahrheit über Vampire. Dem Zeitgeist der Fünfziger entsprechend, wird hier als Wahrheit höchstwahrscheinlich die Infiltration der Blutbanken durch Kommunisten verkauft. Dieses Heftchen riecht geradezu nach der McCarthy-Ära.
    Eine Überschrift lautet: Zeitgebundenheit . Hmm, das ist ja mal was Neues. Ich greife nach meinem Eistee.
    Bis zum Mund komme ich mit der Flasche gar nicht, weil sämtliche meiner Muskeln erstarren. Die Worte hallen in meinem Kopf wider. Es ist, als würde ich dem Kommentator einer Dokumentation lauschen:
    Vampire bleiben in der kulturellen Ära haften, in der sie den Tod fanden. Sie selbst sprechen von dieser Ära als persönliche ›Lebenszeit‹. Zum Erhalt des geistigen Wohlbefindens wird ein Vampir Sprechweise und Kleidung seiner Lebenszeit beibehalten und damit den Konventionen dieser Ära huldigen. Ein weiblicher Vampir aus den zwanziger Jahren wird beispielsweise den Flapper leben, also den flatterhaften, frechen Stil dieser Zeit, wird die damals modischen Kurzhaarfrisuren und kurzen Röcke bevorzugen und behaupten, dass ›schwofen zu gehen‹ – sich also mit wechselnden Geschlechtspartnern zu vergnügen – einfach ›knorke‹ sei.
    Da das moderne Leben stets in die sorgfältig konstruierte Wirklichkeit des Vampirs einbricht, rebellieren Vampire häufig gegen das damit einhergehende Gefühl von Machtlosigkeit. Eine harmlose Reaktion darauf kann aus pathologisch zwanghaften Verhaltensweisen bestehen, da diese die Illusion von Kontrolle hervorrufen.
    Es sollte jede Möglichkeit ergriffen werden, dem gesetzestreuen Vampir ein Mittel zu geben, mit dem er oder sie den Kontakt zur Vergangenheit und gleichzeitig den zur Gegenwart pflegen kann. Nur das hat nämlich zur Folge, dass die Lebensspanne eines Vampirs sich verlängert und möglicherweise katastrophalen Unruhezuständen vorgebeugt wird. Viele Vampire eines gewissen Alters nutzen unser Netzwerk von Schutzhäusern, um einen Ort zu haben, an dem sie langsam vergehen können, ohne eine Gefahr für sich und andere darzustellen.
    Mit roter Farbe stand an den Rand
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