Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische

Titel: Richard Lukastik Bd. 1 - Nervöse Fische
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
trotz fortgesetzt hoher Temperatur mild wirkte. Das Wetter erinnerte nun an einen dieser Boxer, die ungeachtet ihrer großen Gesten zu schwächeln beginnen. Kaum noch sichtbar, dennoch wegweisend.
    Freilich ergab sich der Eindruck von Milde – der Eindruck einer Niederlage, die noch gar nicht besteht, wie man eben einen Boxkampf, den man verliert, von der ersten Runde an verliert – nur für den, der sich in dem kleinen Zimmer befand, das zur Gänze in einem hellen Schatten lag, der den Gegenständen eine graugelbe Färbung verlieh: den weißen, hohen Wänden, den weißen Stühlen, dem Krankenbett, der Infusionsflasche, dem dunklen Holzkreuz sowie dem kleinen Tisch, auf dem ein paar Blumen gerade aus einer Vase standen, gleich einer Gruppe verhexter Mannequins. Nicht zuletzt den beiden Männern, die sich in diesem Raum befanden. Der eine in seinem Krankenbett liegend, Chefinspektor Lukastik, während der andere, jener wasserscheue Haibiologe namens Erich Slatin auf einem der beiden Hocker saß und seinen Blick abwechselnd auf den Genesenden und dann wieder auf die weite Parklandschaft richtete, die hinter dem grobmaschigen Geflecht der Birke sichtbar wurde.
    »Wie fühlen Sie sich jetzt?« fragte Slatin und schlug seine Füße übereinander, so daß ein Stück heller Haut zwischen Sokke und Hosenbein aufblitzte.
    »Es ist merkwürdig«, meine Lukastik, »am Leben zu sein, wenn man eigentlich schon tot war. Ich müßte eine ziemliche Euphorie verspüren. Tue ich aber nicht. Eher ist es so, als habe man mir einen Gutschein in die Hand gedrückt. Sagen wir mal, einen Büchergutschein. Leider besitze ich aber schon alle Bücher, die ich glaube besitzen zu müssen. Und so stehe ich also da, mit diesem Gutschein in der Hand, und bin überfordert. Nicht, daß ich lieber tot sein möchte. Schließlich war es mir nicht vergönnt, irgendein Paradies zu schauen. Oder auch nur den Rand eines Paradieses.«
    »Sondern?«
    »Der Tod ist eine Verbeugung«, sagte Lukastik.
    »Ach was, eine Verbeugung also«, meinte Slatin, wie man meint: Ach was, persische Eisbären also.
    »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen«, zeigte sich Lukastik bekümmert. »Vielleicht ist alles ganz normal, und diese Verbeugung ist gewissermaßen die Eingangsgeste in den Tod. Vielleicht aber handelt es sich um eine andauernde, eine möglicherweise ewige Verbeugung. Als sei der Tod ein radikaler Asiat. Ich kann es Ihnen wirklich nicht erklären, Slatin. Aber als ich starb, oder eben beinahe starb, da spürte ich die unbedingte Verpflichtung, mich zu verbeugen. Und ich spürte – und zwar mit einer Deutlichkeit, die keinen Zweifel ließ –, daß um mich herum alles und jedes eine Verbeugung war, das Wasser, die Haie, das Dunkel, der Raum. Nicht gekrümmt, sondern verbeugt.«
    Zwischen Slatins Augen bildeten sich zwei schmale Wülste. Dann entließ er einen kurzen Seufzer, der selbige Wülste auflöste, und meinte, es sei, wie es sei. Wenn der Tod sich tatsächlich in einer Verbeugung erschöpfe, wäre es wohl gar nicht so schlecht, noch ein wenig auf dieser Welt zu bleiben, um die allgemeine Vielfalt zu genießen.
    »Sie meinen wohl die Vielfalt der Fische«, sagte Lukastik, auf dessen Drängen hin die ermittelnde Behörde Slatin als Fachmann beigezogen hatte.
    In dem unterirdischen See waren an die zwanzig Exemplare einer Haipopulation gesichtet worden. Es konnten auch wesentlich mehr sein. Die Nachforschungen gestalteten sich äußerst schwierig. Ein ausgedehntes System von Höhlen und Kanälen schloß sich an den See an, der zudem mehrere, miteinander verbundene Räume ausfüllte. Wobei die Gewölbedecke, die auf den ersten Blick an Blöcke von Beton erinnerte, sich möglicherweise auf eine romanische Klosteranlage zurückführen ließ, was freilich in einer derartigen Tiefe ein Novum bedeutet hätte.
    Leider würde kein Historiker je diesen Ort zu Gesicht bekommen. Der See, der intern die Bezeichnung Sharks Pool erhielt, wurde zur absoluten Verschlußsache erklärt. Die Frage nach romanischer Baukunst stuften die Ermittler als verzichtbar ein. Allein Slatin sowie einige Statiker wurden ins Vertrauen gezogen. Es galt einerseits das Haiproblem zu lösen und andererseits jegliches bautechnische Risiko zu beseitigen, das sich aus einem Gewässersystem ergab, welches zumindest teilweise unterhalb des Fundaments der Wohntürme gelegen war. Und all dies mußte verständlicherweise im Rahmen höchster Geheimhaltung erfolgen. Was auch bedeutete, daß man jene
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher