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Rheingau-Roulette

Rheingau-Roulette

Titel: Rheingau-Roulette
Autoren: Sia Wolf
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wahrscheinlich was angetan. Trotz Natascha.“
    „Schlimm.“
    „Sehr schlimm. Arno ist nach Paris gefahren, um die Toten zurückzuholen.“
    Alexandra schluckte erneut und griff hastig nach dem Wasser. Ihr Hals war so trocken. Sie konnte die Geschichte noch immer nicht erzählen, ohne dass die Gefahr bestand, ihre Stimme vorübergehend zu verlieren. Wie immer, wenn ihr etwas emotional zu schaffen machte. Sie räusperte sich. Tonlos erzählte sie weiter.
    „Ilse und Eberhard gehörten zu den Opfern, die völlig verbrannt waren. Arno kam ohne sie zurück. Es dauerte Wochen, bis die Identifizierung abgeschlossen war. Und um das Ganze noch zu verschlimmern, war hier in der Zwischenzeit in das Haus der Mahnkes eingebrochen worden. Der ganze Schmuck von Ilse war weg und die Einbrecher haben Feuer gelegt, um die Spuren zu verwischen. So sind alle dinglichen Erinnerungen, die Caro noch an ihre Eltern gehabt hätte, vernichtet worden.“
    Sie verstummte. Thessmann saß neben ihr und schwieg. Erst als sie erneut nach der Flasche griff, um sich ihr Glas nachzuschenken, sagte er leise: „Das ist tragisch. Sehr tragisch. Es tut mir leid.“
    Alexandra nickte nur. Schweigend saßen sie nebeneinander und sahen den Kindern beim Spielen zu. Nach ein paar Minuten der Stille sah Thessmann Alexandra forschend an. „War Ilse die Schwester Ihres Vaters oder Ihrer Mutter?“
    „Meiner Mutter. Ilse war die ältere Schwester. Ich habe meine Tante und auch Caro erst richtig kennengelernt, als sie nach ihrer Flucht neunundachtzig bei uns wohnten. Meine Mutter hat meinen Vater Anfang der siebziger Jahre bei einem Urlaub in Ungarn kennengelernt. Sie aus dem Osten, er aus dem Westen. Es war eine große Liebe, so groß, dass meine Mutter einen Ausreiseantrag gestellt hat. Nach einem Jahr durfte sie rüber, nachdem meine Eltern hier in Rangsdorf geheiratet hatten. Für Liesel und Ilse war es ganz schrecklich, dass meine Mutter nicht mehr da war.“
    Thessmann nickte. „Das glaube ich gern. Aus meiner Familie sind damals auch ein paar nach ‚drüben‘ gemacht. Eine Cousine zweiten Grades und ihr Mann. Üble Zeiten waren das und heute kaum noch vorstellbar.“
    „Sie sagen es. Wo kommen Sie her?“
    „Ursprünglich aus Rostock, aber studiert habe ich in Heidelberg.“
    Alexandra lächelte. „Na, da haben Sie aber sicher einen Kulturschock erlitten, oder? Vom kühlen Norden in den geschwätzigen Süden. Wie sind Sie mit den Heidelbergern zurechtgekommen?“
    „Problemlos, bei meinem nordischen Aussehen. Ich habe mich als Schwede ausgegeben“, Thessmann rieb sich die dunklen Haare aus der Stirn und grinste ironisch.
    „Sie sind ein Schwindler! War da nicht diesbezüglich was mit dem achten Gebot?“
    Thessmann staunte. „Ich bin tief beeindruckt. Eine Nicht-Kirchgängerin, die sich nicht nur an eines der zehn Gebote erinnert, sondern es auch noch numerisch zuordnen kann!“
    Alexandra grinste. „Ich habe gestern ein Buch gelesen, indem es um einen Serienmörder geht, der nach den zehn Geboten mordet. Gestern war das achte dran.“
    Sie stand auf. „Kommen Sie, schauen wir mal, wie weit die Kaffeetafel schon geräumt ist.“
    Thessmann fasste sie leicht am Arm. „Was ist mit dem Chor? Kann ich mit Ihnen rechnen?“
    „Vielleicht. Ich werde es mir überlegen!“
    Als sie in das Wohnzimmer kamen, hatte sich die Kaffeetafel mehr oder weniger aufgelöst. Caro stand mit ihren Schwägerinnen im Flur und erörterte die verschiedenen Schulmodelle in Berlin. Arno kam gerade mit einem Sechserpack Bier aus der Küche.
    „Herr Pfarrer, kommen Sie rüber, trinken Sie ein Bier mit uns?!“
    Arno schob den Pfarrer zum Tisch, an dem schon sein Vater und seine beiden Brüder saßen.
    „Wenn die geistvollen Getränke anrollen, sinkt ja erfahrungsgemäß der geistige Inhalt der Gespräche. Vielleicht kann uns ein Geistlicher dabei etwas Unterstützung geben?“ Arno stellte das Bier auf den Tisch.
    „Nach deinen geschwollenen Reden zu urteilen, ist das nicht dein erstes Bier, oder?“ Alexandra zog amüsiert die Augenbrauen hoch.
    „Das erste Bier schon. Aber ich hatte schon einen Schnaps.“ Arno grinste. „Auf die Weltmeisterschaft. Bald geht‘s los! Kennen Sie sich mit Fußball aus, Herr Pfarrer?“
    „Ich bin in einer Fußballmannschaft groß geworden.“ Thessmann nahm sich ein Bier und öffnete den Kronkorken lässig mit einem Löffel, der auf dem Tisch lag.
    „Respekt.“ In Arnos Miene blitzte Bewunderung auf. „Das hätte ich einem
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