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Requiem fuer einen Henker

Requiem fuer einen Henker

Titel: Requiem fuer einen Henker
Autoren: Jacques Berndorf
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tot. Der Mann hat sicherlich noch untertrieben, was das Regierungsviertel angeht, aber ebenso sicher war er nie in der Innenstadt. Ich wusste ein paar nette Gaststätten, die mir anheimelnder erschienen als die Aussicht auf eine Fahrt durch die Eifel. Es war zwei Uhr morgens, als ich in einer Gaststätte im gutbürgerlichen und meist gut gelaunten Poppelsdorf den letzten Kaffee trank und in meinen Wagen stieg.
    Ich weiß heute nicht mehr, warum ich unbedingt in das Regierungsviertel wollte. Mit Sicherheit nicht aus irgendeiner Vorahnung heraus. Am wahrscheinlichsten ist, dass ich einfach durch die Stadt fahren wollte - nur schauen, was los ist, um mit vager Befriedigung festzustellen, dass nichts los ist.
    Ich erinnere mich, dass ich die Adenauerallee in Richtung Bad Godesberg fuhr und mir selbst vorhielt, was für ein Idiot ich sei, nachts durch das grauschwarze Bonn zu kurven. Ich weiß auch noch, dass ich am Palais Schaumburg vorbeikam, dann am Bundeskanzleramt. Danach muss ich nach links in die Welckerstraße eingebogen sein; in der Dahlmannstraße in Höhe des Presse- und Informationsamtes parkte ich den Wagen. Wie so oft fragte ich mich, wieso dieses Amt ausgerechnet Informationsamt genannt werden möchte. Ich muss den Trenchcoat übergezogen haben, weil ich später einen großen Blutfleck am rechten Ärmel entdeckte. Den Weg, den ich ging, kann ich rekonstruieren.
    Ich ging in Richtung Stresemannufer, bog nach rechts auf die Uferstraße ab, kam also am Haus des Bundesrats vorbei. Der Fluss lag dunkel und trist im Nebel wie ein betonierter Wurm. Nichts regte sich.
    Zwei Männer vom Bundesgrenzschutz kamen mir entgegen, ich sagte gutgelaunt: »Selbst, wenn Sie es nicht glauben: ich gehe spazieren.«
    Sie lachten und gingen weiter, und ich blieb am Ufer stehen - ungefähr in Höhe der Schiffsanlegestelle, mit dem Rücken zum Wasserwerk, in dem der Bundestag seine Notunterkunft hat. Mit dem Rücken auch zur Baustelle des neuen Bundestages, die uns noch jahrelang erhalten bleiben wird. Ich stopfte mir die gebogene Redwood, die so gut unter meinen Schnurrbart passt, und schmauchte vor mich hin. Ich fragte mich erneut, was ich denn hier wollte, als mir die Autos auffielen. Sie hatten allesamt die Scheinwerfer eingeschaltet, auf zweien von ihnen kreiste das blaue Licht. Sie standen auf dem Parkplatz des Abgeordnetenhochhauses, des Langen Eugen, wie die Bonner in Anspielung auf den geistigen Vater dieser architektonischen Scheußlichkeit sagen.
    Endlich war etwas los.
    Also machte ich mich gemächlich auf, um zu sehen, was denn da Furchtbares geschehen war. Vermutlich hatten sie eine alte Keksdose gefunden und wussten nicht, ob es eine Bombe war oder eine Keksdose.
    Ich hatte es überhaupt nicht eilig, nichts vom Fieber brennender Neugier, nichts von jenen idiotisch hektischen Erwartungen, die angeblich den guten Journalisten ausmachen.
    Im Sommer ist es grün hier, Kastanien geben Schatten, müde Touristen stehen Schlange an zwei trostlosen Kiosken und kauen vertrocknete Frikadellen.
    Man hatte die Wagen so in einen Kreis gefahren, dass ihre Scheinwerfer sich gegenseitig anschielten. Es war ein kleiner Kreis, etwa zwanzig Meter im Durchmesser. In seiner Mitte lag sehr unordentlich ein Mensch auf dem Bauch, ein Mann.
    Es waren ein paar Uniformierte da, aber die meisten der hektischen Akteure waren in Zivil. Sie rannten hin und her, sie fotografierten, sie maßen aus, sie sprachen miteinander, sie gebärdeten sich ungeheuer wichtig. Sie waren alle schlechtgelaunt. Alles in allem zählte ich zwölf Männer.
    Jemand brüllte gereizt: »Das Licht reicht mir nicht. Fahr den Mast aus und gib mir Saft von oben!« Ein anderer rief hektisch: »Dass mir keiner an den Knaben geht, bevor wir alles fotografiert haben!« Ein Dritter dicht neben mir seufzte bitter: »Es war so eine schöne, ruhige Nacht, verdammt.«
    Jemand gegenüber im Dunkeln zwischen den Scheinwerfern meinte ungerührt: »Regt euch nicht auf, Jungens, das ist ein Penner, das sieht man doch. Und ein anderer Penner hat den kaltgemacht, ganz einfach.«
    Ein Uniformierter fasste mich ganz behutsam an der Schulter. Er grinste mich freundlich an.
    »Wer sind Sie denn?«
    »Spaziergänger«, sagte ich. »Ich komme zufällig vorbei.«
    »Könnten Sie dann auch zufällig weitergehen?«
    »Das glaube ich nicht, denn zufällig bin ich auch von der Presse.«
    Eine Männerstimme wie aus dem Kino der Fünfziger sagte zwischen Anfällen von Raucherhusten: »Sag mal, riecht ihr
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