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Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin
Autoren: Elizabeth Corley
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– den Verdacht, den dieser schreckliche Brief aus der Vergangenheit geweckt hatte, die letzten Worte seines sterbenden Onkels, die ein Verderben über ihn brachten, das er nie für möglich gehalten hätte. Er hatte Rache gewollt, und in seinem ersten, blinden Hass hatte er sich Deborah Fearnside vorgenommen. Sie zu töten war am schwierigsten gewesen, vielleicht am wenigsten gerechtfertigt. Ihre von Schuldgefühlen gefärbten Erinnerungen, die sie ausgeplaudert hatte in dem verzweifelten Versuch, ihr Leben zu retten, hatten angedeutet, was geschehen war, es aber nicht beweisen können.
    Und dann war Katherine Johnstone gestorben. Er hatte Glück gehabt, dass er ihr Tagebuch fand. Glück, dass sie mit ihrem pubertären Geschwätz so viel preisgegeben hatte. Drei Seiten hatten ihm alles verraten, was er wissen musste. Er bewahrte sie zusammengefaltet in seiner Brieftasche auf und holte sie gelegentlich, in Augenblicken zwanghafter Neugier und tiefen Abscheus, heraus. Unbewusst drückte er sie jetzt mit der Hand an die Brust.
    Die Mezzosopranistin sang weiter: «Sitzt der Richter dann, zu richten, wird sich das Verborgne lichten. Nichts kann vor der Strafe flüchten.» Inzwischen waren sie fast alle bestraft. Leslie Smith war so gut wie tot. Er hatte nicht richtig beschleunigt und war im Regen leicht ins Schleudern gekommen, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Sie war eine Randfigur gewesen und hatte lediglich durch ihre Bekanntschaft mit den anderen Schuld auf sich geladen. Nun blieb nur noch Anderson. Er spürte, wie sein Zorn wuchs, regelrecht erblühte in seiner Brust. Der Zorn war so grell – es wunderte ihn, dass man ihn nicht auf der Empore leuchten sah.
    Nun waren es nur noch Sekunden, bis er zuschlagen würde. Unter ihm flüsterte der Chor sein schreckliches «Dies irae», immer bedrohlicher, und das Orchester griff das Thema auf. Er hatte sich die Zeiten bei den Proben Seite für Seite notiert. Gleich kam ein weiteres Crescendo, dann würden die anderen verstummen, und die vier Solisten würden allein am Rand der Bühne stehen.
     
    Fenwick bahnte sich einen Weg zum Nebenraum, der zum Stützpunkt der Polizei umfunktioniert worden war. Es war niemand da, den er kannte. Campbell kehrte ihm den Rücken zu und flüsterte in das Mikrofon des Funkgeräts, das er in der Hand hielt. Fenwick beachtete ihn nicht und trat neben den Zivilbeamten, der sich über die Bildschirme beugte.
    «Der Brief von der Plattenfirma, gibt es da inzwischen eine Bestätigung?», fragte er leise.
    Der Mann schien einen Moment zu überlegen, dann zuckte er die Achseln.
    «Um Himmels willen, Mann, das ist wichtig. Wo ist er?» Seine Panik teilte sich offenbar mit.
    «Der ganze Papierkram ist da drüben.» Der Mann wies auf einen alten Tisch in der Ecke, auf dem Formulare, zwei Laptops und ein Stapel Gesangbücher lagen. Fenwick war der Verzweiflung nahe, doch dann sah er, dass dem Chaos eine simple Ordnung innewohnte. Eine Namensliste mit zahlreichen Durchstreichungen hing an einem Klemmbrett, Briefe, Faxe und Telefonnotizen lagen daneben in einem Drahtkorb, darunter fand er auch den Brief der Plattenfirma binnen weniger Augenblicke. Kein Vermerk darüber, dass der Unterzeichner des Briefs sich gemeldet hatte. Er ging die Liste durch. Auf der zweiten Seite fand er den Namen des Tontechnikers – er war nicht abgehakt, ebenso wenig wie einige andere.
    Unentschlossen stand Fenwick in dem kleinen Raum. Draußen ertönte klar und rein eine Frauenstimme.
    Da er nicht erkannte, an welcher Stelle des Stücks sie waren, ob Octavia sang oder nicht, ging er hinaus. Eine kleine Gestalt in Blau stand allein vor dem Chor. Erleichterung erfüllte ihn, wurde aber sogleich von einer Woge der Angst hinweggespült. Seine Instinkte schrien förmlich, dass er etwas tun solle, aber er war unsicher. Trübten seine verkorksten Empfindungen für diese Frau sein Urteilsvermögen? Alle Leute ringsum waren ruhig, lauschten einer wundervollen Darbietung und nahmen nichts wahr als die erhabene Musik und die überwältigende Architektur. Er sah Polizisten an den Seiten des Kirchenschiffs stehen. Sie machten einen gelassenen Eindruck, wachsam, ja, aber nicht beunruhigt.
    Und dann vernahm er das leise Grollen des «Dies irae» wie fernen Donner, der einen Sturm gigantischen Ausmaßes ankündigte. Von da, wo er jetzt stand, konnte er das Triforium nicht einsehen, es befand sich direkt über ihm. Also riskierte er es, den Unmut des Publikums auf sich zu ziehen, und
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