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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
Autoren: Jules Verne
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bestiegen sie eines jener Schiffe, die bis Greenwich die Themse hinunterfahren. Der Fluß ist in der Nähe der London Bridge von Passagierschiffen und Küstenfahrzeugen übersät, die meisten nutzten die zurückweichende Flut und glitten mit vollen Segeln und vollem Dampf dahin. Das Passagierschiff nach Greenwich entfernte sich schnell von der Brücke.
    Es ließ das Custom House, die Zollverwaltung, linker Hand liegen, ein weitläufiges und monumentales Gebäude, das aus drei gewaltigen Portiken in ionischem Stil besteht, geschmückt mit Säulen, die bereits von der ätzenden Nässe der Themse zerfressen sind. Das Wasser des Flusses ist nicht schlammig und auch nicht lehmig, sondern gleicht den übelriechenden Auswürfen einer Kloake; die Themse ist übrigens nichts anderes als eine riesige Kloake, in die zweimal am Tag die Flut den ganzen Unrat der Großstadt zurückströmen läßt: Die Nordsee will ihn um keinen Preis aufnehmen. Darin liegt eine stetige Ursache für Ansteckungen. Ist es unter diesen Umständen also verwunderlich, daß die Pest London sechsmal heimgesucht und 1665 hunderttausend Menschen dahingerafft hat? Während der hochsommerlichen Hitze im Juni und Juli werden die Ausdünstungen des Flusses unerträglich, und jedes Jahr ist das halb erstickte Parlament gezwungen, seine Sitzungen zu unterbrechen.
    Der Dampfer durchfurchte dieses faulige Wasser, das kaum Gischt hervorbringen kann, so schwer und klebrig ist es. Schon bald richteten sich die fünfzehntausend Maste der in den Docks eingeschlossenen Schiffe wie Stacheln am Horizont auf. Aber Jacques war der Ansicht, nachdem er bereits die Hafenbecken von Liverpool gesehen hatte, auf das Schauspiel der Londoner Hafenbecken verzichten zu müssen, die gewiß nicht sehenswerter sind. Hinter einer Krümmung des Flusses tauchte eine kolossale Schiffskonstruktion auf: Es war die
Leviathan,
die durch die Anstrengungen der Ingenieure endlich auf ihr natürliches Element gesetzt worden war. Zu Jacques’ großem Bedauern war es nicht mehr möglich, dieses Ungeheuer der Meere zu besichtigen, das zwanzigtausend Registertonnen nichtigen Tand zu fassen vermag! Sie ankerte ein wenig oberhalb von Greenwich, wo der Dampfer kurz darauf anhielt.
    Greenwich liegt ungefähr fünf Meilen unterhalb der London Bridge. Es ist eine richtige Stadt. Jacques warf nur einen halben Blick auf den herrlichen Palast, den England seinen Seeleuten als Hospital geschenkt hat. Er bemühte sich vergebens, Jonathan den berühmten englischen Meridian zu zeigen, der durch die Sternwarte geht, dann zog er seinen Begleiter in einen Kahn: Er wollte zur
Leviathan
zurückkehren und sie in Augenschein nehmen. Das mit Hilfe von zwei Rudern gesteuerte Boot fuhr stromaufwärts, vorbei an einem Dreidecker ohne Masten, der dem Hospital als Dependance dient und dessen wuchtige Masse die ungeheure Größe der
Leviathan
zur Geltung brachte. Jacques konnte sich eine genaue Vorstellung von ihrer Höhe machen, indem er an den Schaufelradtrommeln entlangruderte, die für sich genommen schon ein Monument bilden; während dieser nautischen Exkursion tauchte Jonathan einen Finger in die Themse, und noch am übernächsten Tag bedauerte er diesen verhängnisvollen Einfall.
    Nachdem der Kahn diese schwimmende Welt umkreist hatte, kehrte er an den Quai zurück; die Reisenden nahmen wieder ein Dampfschiff, das die Themse hochfuhr, und stiegen am Anlegeplatz beim Tunnel, am linken Flußufer aus. Als sie den Eingang dieses unnützen Wunderwerks erreichten, das Herr Brunel, ein französischer Ingenieur, entworfen und ausgeführt hatte, drangen sie über die Schneckenwindungen einer Treppe in einen breiten Schacht vor, dessen Wände Bilder aus verschiedenen Ländern zieren, gemalt mit jener Koloristenüberzeugung, die englische Künstler auszeichnet. Am Ende dieses Schachtes tun sich zwei vierhundert Meter lange Gänge auf, aber nur der rechte ist für den Fußgängerverkehr geöffnet, und man muß
one penny
bezahlen, um die Themse unter ihren abscheulichen Wassern zu durchqueren. Dieser lange Schlauch wirkt trostlos, unheimlich, grabstättenhaft; die dicke Luft wird von zahlreichen Gaslaternen durchbrochen, und zwischen den beiden durch Arkaden miteinander verbundenen Gängen befinden sich Läden mit überflüssigen und teuren Gegenständen; geführt werden sie von den hübschesten Verkäuferinnen der Welt, die, wie es heißt, auch selbst zu den ausgestellten Waren gehören.
    Gerade als Jacques und Jonathan den Gang
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