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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Autoren: Yannik Mahr
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macht, in der Mittagspause auswärts essen zu gehen, muss einerseits um seine Garderobe fürchten, für die das Restaurant natürlich „keine Haftung“ übernimmt, und andererseits genug Bargeld dabeihaben („Keine Kreditkarten! Keine EC-Karten!“). Wer besonderes Pech hat, so wie Herr Müller-Hohenstein vor Kurzem, gerät gar in einen Imbiss, der sich und seinen Gästen eines der wichtigsten Arbeitnehmerlebensmittel verbietet. Groß steht dort über der Theke: „Keine Pommes!“
    Es gibt nichts, was es nicht gibt. Unberechtigt geparkte Fahrzeuge werden kostenpflichtig abgeschleppt, das Springen vom Beckenrand ist genauso verboten wie das Betreten der Grünflächen. Eltern haften für ihre Kinder, die Benutzung des Spielplatzes geschieht auf eigene Gefahr, die Feuerwehrzufahrt ist frei zu halten, das Einstellen von Kinderwagen und Fahrrädern ist untersagt. Die Gedanken sind frei? Nein, nur die Anlieger, leider.
    Rauchen ist längst fast überall verboten, viele Innenstädte sind für Autos ohne entsprechende Umweltplakette tabu. Tankstellen dürfen nachts keinen Alkohol mehr verkaufen, anderen Geschäften ist es nur in Ausnahmefällen erlaubt, sonntags zu öffnen. Feuermelder müssen in jeder Wohnung hängen, herkömmliche Glühbirnen dürfen das nicht.
    Der Letzte macht bitte die Energiesparleuchte aus!

Die letzte große Freiheit

    Wenn in Kneipen das Rauchen verboten ist, wenn Videospiele geächtet und harmlose Bürger am Telefon abgehört werden können, bleibt nur eines: Raus aus dem Haus, rein ins Auto. Schlüssel umdrehen, Radio an, und schnell dorthin, wo der Mensch noch Mensch sein darf: auf die Autobahn.
    Hier kann man ein letztes Gefühl von Freiheit in unserem sonst so straff reglementierten Land verspüren. Blinker an, linke Spur, rechte Spur, linke Spur. Bleifuß, Lichthupe, abbremsen, pöbeln. Zwischendrin der freundliche Autofahrergruß zum Opa im silbernen Astra, der uns nicht vorbeilassen wollte. Finger raus und mit 180 vorbei. Herrlich!
    Das haben sie uns nicht nehmen können, nicht einmal die grünen Politiker, die behaupten, dass sich mit einem generellen Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen der Klimawandel von heute auf morgen aufhalten ließe.
    Um unser Autobahnnetz, dieses fast 13000 Kilometer lange Symbol der Freiheit, beneidet uns die ganze Welt. Im Englischen gibt es keine adäquate Übersetzung, weshalb selbst amerikanische Autofahrer von „Autobahn“ sprechen, wenn sie voller Neid nach Deutschland blicken. Nicht wenige kommen, genau wie Japaner, Briten und Skandinavier, extra her, um wenigstens einmal im Leben richtig Gas zu geben. Oder, um es mit Frank Sinatra zu sagen: If you can make it here, you can make it anywhere – zumindest, wenn man nicht gerade auf der A 1 zwischen Hamburg und Bremen unterwegs ist.
    Dort heißt Freiheit nämlich 80 km/h, und das auch nur, wenn man Glück hat. Von rund 120 Autobahnkilometern sind gut zwei Drittel Baustellen, und die verbliebenen Fahrbahnen sind so eng, dass es selbst für Minis kritisch wird. Hat man einen Lkw vor sich, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder bleibt man stur hinter ihm, oder man opfert bei einem auch sonst riskanten Überholmanöver den Spiegel auf der Beifahrerseite. Natürlich gibt es permanent Unfälle und Radarkontrollen, und natürlich reißt die frisch aufgebrachte Asphaltdecke beim ersten Nachtfrost wieder auf. Die Fahrt von Hamburg nach Bremen dauert auf diese Weise gern mal zwei, drei, vier oder mehr Stunden, und wenn die regionalen Radiosender wollten, könnten sie ihr komplettes Programm mit Stau- und anderen Warnhinweisen zur A 1 füllen.
    Und leider macht uns nicht nur diese Strecke große Sorgen. Überall in der Republik werden die freiheitsliebenden Deutschen ausgebremst, weil es so viele von ihnen gibt. Der Verkehrsfunk meldet oft nur noch Staus ab einer Länge von zwei oder drei Kilometern, weil die Durchsagen sonst zu lang würden. Gehen die erst bei fünf Kilometern los, kann man sich auf einen harten Tag auf der Autobahn einstellen, bei zehn ist das Technische Hilfswerk mit Decken und warmem Tee nicht mehr weit.
    Jeder deutsche Autofahrer kann mindestens eine Geschichte von einem Monsterstau erzählen. Wie die Kinder auf der Rückbank nicht aufgehört haben zu weinen, wie das Benzin auf einmal alle war oder Opas 90. Geburtstag am Karmener Kreuz gefeiert werden musste. Unvergessen auch die Freundin, die es mitten auf der A7 nicht mehr aushielt und sich im Schutz der geöffneten Fahrertür auf dem
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