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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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und wenn wir uns die Nachrichten ansahen, fiel ihr das Haar ins Gesicht, so daß meine Kommentare über das Chaos, das sich allmählich rings um uns ausbreitete, wohin man auch blickte, kein Echo bei ihr fanden. Ich hörte, wie sie mitten in der Nacht telefonierte, oder überraschte sie dabei, wie sie mit ten am Tag schlief. Auf ihren Rat hin vermied ich es jedoch, gewisse Bemerkungen fallenzulassen. Ich spürte, daß wenigstens einer von uns beiden einen kühlen Kopf bewahren mußte.
    Was ihren Freund anging, so brauchte ich meh rere Tage, um mir ein Bild von ihm zu machen, nachdem ich beschlossen hatte, mehr über ihn zu erfahren. Lili und ich hatten einen, von meinem Standpunkt aus gesehen, furchtbaren Januar hinter uns, halb unterm Schnee begraben, der in ungewöhnlichen Mengen gefallen war, und von einer Kluft getrennt, die größer war als die unter Frem den unterschiedlicher Konfession. Sie schloß ihre Schubladen ab. Sie wich meinem Blick aus. Drei Schritte mit mir die Straße entlangzulaufen, schien über ihre Kräfte zu gehen.
    »Und dieser Dimitri?« fragte ich sie eines Abends in einem Restaurant - ich hatte sie mitschleppen dürfen, weil ich ihr als Gegenleistung versprochen hatte, das Konto ihrer Kreditkarte zu sanieren. »Willst du mir nicht etwas über diesen Dimitri erzählen?«
    Ich packte sie am Handgelenk, um sie daran zu hindern, unseren Tisch zu verlassen, vor allem, da wir noch bei der Vorspeise waren und ich einen sehr guten Wein bestellt hatte, um wieder etwas Farbe in ihre Wangen zu bringen. Es gelang mir, sie zurückzuhalten, indem ich ihr schwor, das Thema zu wechseln, einen Schwur, den ich heroisch ein hielt, auch wenn ich mir mehrmals auf die Lippen beißen mußte. Auf dem Heimweg warf ich mit einem Schneeball nach ihr, aber er traf sie mitten ins Gesicht, und so beließen wir es dabei.
    Ich konnte mich nur auf meinen eigenen Spür sinn verlassen, um mehr über Dimitri zu er- fahren. Ich folgte ihm. Mit einer Wollmütze über den Oh ren stand ich mir mehrere Tage lang an einer Straßenecke vor der Uni bei eisigem Wind die Beine in den Bauch, hauchte in regelmäßigen Abständen meine Finger an, damit sie mir nicht abfroren, und dampfte aus allen Öffnungen wie eine Lokomotive. Mir tränten die Augen, und die Zehen taten mir weh. Bis ich schließlich mit gesprungenen Lippen herausfand, daß Dimitri, dieser Arsch, gar nicht an der Uni eingeschrieben war. Das fing ja gut an. Zit ternd wie Espenlaub und blaugefroren betrat ich die Buchhandlung, so daß sich meine Mutter fragte, ob ich gut daran tat, mich so intensiv mit dieser Geschichte zu beschäftigen. Wir stritten uns ein wenig um den Heizkörper, dann machte ich mich wieder auf den Weg. Ich betrachtete auch all die Mädchen, die im Alter meiner Tochter waren, und verstand, daß ich noch weit von der Wirklichkeit entfernt war.
    Als ich eines Morgens halbtot vor Kälte war und die Nase gestrichen voll hatte, begri ff ich schließ lich, daß es Dinge gab, die nicht in meiner Macht standen. Ich machte eine von Lilis Schub- laden mit Gewalt auf - das konnte ich noch ganz gut, wenn ich es wollte - und fand seine Adresse. Übrigens hatte ich dabei fast das Gefühl, als sei es mein gutes Recht.
    Er wohnte bei seinen Eltern. War Sänger in ei ner Gruppe.
    An einem Abend, an dem Lili zu Hause blieb, stand ich gegen Mitternacht auf und ging in eine Kellerkneipe, um ihn mir anzuhören, und trank, umgeben von Zombies aus dem Viertel, lauwarmes Bier - es traten dort auch irgendwelche Schriftstel ler auf, gingen auf die Bühne, und dann folgte eine Lesung, die einen glatt umhaute.
    Er machte keinen sonderlich guten Eindruck auf mich. Meilenweit entfernt von den erstaunlichen Vokalexperimenten einer Maja Ratkje, die ich zutiefst bewunderte, gelang es Dimitri nur, mir mit Texten aus seiner eigenen Feder kräftig auf die Nerven zu gehen. Meiner Meinung nach war das ziemlich mäßig. Doch um mir nachher keine Vorwürfe machen zu müssen und nach zwei Aspirintabletten, die ich an der Bar lockergemacht hatte, wartete ich das Ende seines Konzerts ab, denn man weiß ja nie, Dimitri konnte durchaus am folgenden Tag in den Zeitungen gefeiert und von dieser oder jener Avantgarde in den Himmel gelobt werden, möglich war alles. Ich blieb also bis zum Schluß, versuchte nicht voreingenommen zu sein, fragte mich, ob es eine Pause geben würde, gab durch ein Zeichen zu ver stehen, daß ich nichts hörte, wenn man mich an sprach, und wechselte Blicke mit einem

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