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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck
Autoren: Matthias P. Gibert
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dass du dich, und sei es auch nur ganz
vage, daran erinnern könntest, dass die Jungs, die dich so übel zugerichtet haben,
Türkisch gesprochen haben könnten.«
    Schmitt brauchte eine Weile, bis er die Worte seines Gastes richtig
eingeordnet hatte.
    »Ja«, bestätigte er zögernd, »das könnte wirklich sein. Deutsch haben
diese Bastarde jedenfalls ganz sicher nicht geredet.«
    »Das solltest du gleich morgen zu Protokoll geben. Du kannst dich jetzt
also wieder daran erinnern, sagst du, dass die Leute, die dich so übel zugerichtet
haben, Türkisch gesprochen haben. Meinst du, das bekommst du hin?«
    »Klar kriege ich das hin«, erwiderte Schmitt und sah an seinem zerschundenen
Körper abwärts. »Mit Vergnügen sogar.«
    »Dann wäre das ja geklärt. Eine Sache müssten wir trotzdem noch besprechen,
Gerold.«
    »Ja?«
    »Wir möchten, dass du dich nach Kassel verlegen lässt.«
    Schmitt sah ihn entgeistert an. »Warum denn das?«
    »Weil wir der Meinung sind, dass dir dort viel besser geholfen werden
kann als hier in diesem Provinzhospital.«
    »Aber die Ärzte hier verstehen doch auch …«
    »Der Jurist«, wurde der Mann mit dem Kopfverband von seinem Besucher
sanft unterbrochen, »möchte es gerne so.«
    »Aber«, unternahm Schmitt einen letzten hoffnungslosen Versuch, der
erneut von Weiler gestoppt wurde.
    »In zwei Stunden kommt der Krankenwagen, der dich überführen wird.
Es ist alles vorbereitet. Und du willst den Juristen doch sicher nicht verärgern,
oder?«
    »Nein, nein, das will ich ganz bestimmt nicht.«

5
     
    Emre Bilgin stürmte durch den Flur und riss sich den Hörer der Gegensprechanlage
ans Ohr.
    »Ja«, rief er.
    »Ich bin’s, Kemal«, kam es rauschend und knarzend aus dem kleinen Lautsprecher.
»Mach auf, du häßliche Kröte, hier draußen ist es arschkalt.«
    Der Junge mit den beeindruckenden rehbraunen Augen drückte auf den
Knopf, der unten die Haustür öffnete, und zog danach die Wohnungstür nach innen.
Sein großer Bruder kam federnd die Treppe hochgesprungen, nahm ihn in den Arm und
drückte ihn fest an sich.
    »Hör auf mit dem Scheiß«, protestierte Emre, was Kemal jedoch dazu
veranlasste, ihn noch intensiver an sich zu pressen, weil er wusste, dass seinem
kleinen Bruder das seit ein paar Jahren eher peinlich war.
    »Hör auf zu jammern«, erwiderte er lachend. »Ich hab dich doch bestimmt
einen ganzen Monat nicht gesehen.«
    »Viel länger«, korrigierte Emre und stieß ihm dabei den Ellenbogen
in die Rippen.
    Der Ältere stöhnte auf, ließ ihn los und schlug ihm mit der flachen
Hand so auf den linken Oberschenkel, dass es laut krachte.
    »Wer ist das denn, Emre?«, hörten die beiden aus dem Wohnzimmer die
Stimme ihrer Mutter.
    »Ist der Alte da?«, fragte Kemal seinen Bruder leise.
    Der nickte. »Ist aber in seine blöden Studien vertieft. Warum denn?
Willst du was von ihm?«
    »Mal sehen. Jetzt gehen wir erstmal rein und trinken einen Tee, was
meinst du?« Damit schlug er seinem kleinen Bruder noch einmal auf den Oberschenkel.
    »Du …« Weiter kam Emre nicht, weil aus dem Hintergrund Demet Bilgin
auftauchte, die Arme hochriss und ihren Erstgeborenen überschwänglich begrüßte.
    »So eine Freude. Ich hatte schon befürchtet, du hättest deine alte
Mutter ganz vergessen«, rief sie mit Tränen in den Augen.
    »Lass uns Deutsch reden, Mama, wie wir es verabredet haben«, gab Kemal
Bilgin gütig zurück und nahm seine Mutter dabei ein weiteres Mal in die Arme.
    »Ach, du immer mit deinem Deutsch. Ich rede in der Sprache mit dir,
in der ich es am besten kann, und das ist nun einmal meine Muttersprache.«
    »Aber«, wollte ihr Sohn sie noch einmal an die Vereinbarung erinnern,
die auch er vor vielen Monaten mit seiner Mutter getroffen hatte, doch die winkte
ab.
    »Hast du Hunger? Du hast bestimmt Hunger.« Sie musterte ihn von oben
bis unten. »Abgenommen hast du. Kiloweise abgenommen. Komm rein, ich mach dir etwas
Schönes zu essen.«
    »Mama …«, protestierte Kemal schwach in dem sicheren Bewusstsein, dass
er keine Chance hatte.
     
    »Erzähl, was gibt es Neues?«, wollte sie wissen, nachdem er den zweiten
Teller Linsensuppe vertilgt hatte. »Hast du Arbeit gefunden?«
    Kemal nickte. »Ja. Ich bin jetzt bei der großen Solarfirma.«
    »Was ist das, eine Solarfirma?«
    »Na die Firma, die in Bettenhausen und Sandershausen alles zugebaut
hat. Die riesigen Hallen und so.«
    »Ja«, erinnerte sich Demet Bilgin. »Und, ist es eine gute Arbeit?«
    »Es ist eine verdammt gute
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