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Rebellion Der Engel

Rebellion Der Engel

Titel: Rebellion Der Engel
Autoren: Brigitte Melzer
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nicht passiert. Dass niemand ihn gefunden hatte, war merkwürdig und gruselig zugleich. Die Vorstellung, dass seine Leiche unentdeckt zwischen Bäumen und Sträuchern lag und langsam verrottete, ließ den Klumpen in meinem Magen auf doppelte Größe anschwellen. Ich schluckte und konzentrierte mich auf meinen Atem, bis ich nicht länger den Drang verspürte, mich von meinem Mageninhalt zu trennen.
    »Rachel«, setzte Amber an und ich konnte genau sehen, wie besorgt sie war. »Außer uns war niemand im Wagen. Du warst aufgebracht wegen deines Dads und dann ist dir ein Fehler unterlaufen. So etwas passiert.«
    Wie konnte sie ihn nicht gesehen haben? Die einzig vernünftige Erklärung, die mir einfiel, war, dass sie recht hatte und tatsächlich niemand im Wagen gewesen war.
    Bei Seattle Heights verließen wir die Interstate und fuhren weiter in Richtung Westen, nach Ruby Falls. Der Anblick der hübschen viktorianischen Häuser mit ihren bunten Holzfassaden, den übersichtlichen, von Bäumen gesäumten Straßen, und der Geruch des Meeres, der durch die heruntergelassenen Scheiben in den Wagen drang, reichten aus, um mir ein Stück weit das Gefühl von Normalität zurückzugeben. Ruby Falls war eine nette Kleinstadt an der Küste des Puget Sound, der langen Bucht zwischen Seattle im Osten und dem Olympic National Park im Westen, die direkt in den Pazifik überging. Ich hatte mein bisheriges Leben in Seattle verbracht und mich anfangs davor gefürchtet, von dort wegzuziehen. Ein Teil von mir mochte die Anonymitätder Großstadt und scheute sich davor, an einem Ort zu landen, an dem jeder alles über den anderen weiß. Glücklicherweise waren meine Bedenken rasch zerstreut worden. Ruby Falls war klein genug, um gemütlich zu sein, aber nicht so klein, dass jeder jeden kannte. Hier gab es all die Dinge, die man auch in einer Großstadt fand, nur in einem heimeligeren Ambiente, und wenn ich doch einmal den Lärm und die Hektik vermisste, war Seattle nur eine Stunde entfernt.
    Ich hatte mir ein Haus am westlichen Ortsrand gemietet, von dessen Garten aus ich bei klarer Sicht über den Puget Sound blicken konnte. Amber hielt am Straßenrand vor meinem Haus und wollte aussteigen, um mir mit meiner Tasche zu helfen. Sosehr ich ihr für ihre Hilfe dankbar war, so sehr wünschte ich mir auch, jetzt allein zu sein. Nach einer Unterhaltung stand mir im Augenblick nicht der Sinn – schon gar nicht, wenn diese sich um den Unfall und den Mann drehen würde, den ich gesehen zu haben glaubte.
    »Amber«, begann ich, als sie den Sicherheitsgurt löste.
    Sie sah mich an. »Du brauchst jetzt erst mal ein wenig Zeit für dich.«
    Ich nickte.
    Sie bedachte mich mit einem langen Blick, als wolle sie sichergehen, dass ich nicht schon auf dem Weg zur Haustür zusammenbrechen würde, dann ließ sie die Gurtschnalle wieder einrasten.
    »Wenn du etwas brauchst, ruf an, okay?«
    »Mache ich.« Ich stieg aus und nahm meine Tasche vom Rücksitz. »Danke fürs Heimbringen.«
    »Jederzeit.«
    Ich warf die Tür zu, trat einen Schritt zurück und wartete, bis Ambers Wagen am Ende der Hillstreet um die Ecke verschwunden war. Dann wandte ich mich dem Haus zu. Der Vorgarten hinter dem Jägerzaun sah um einiges gepflegteraus, als ich es nach drei Wochen erwartet hatte. Insgeheim dankte ich Amber fürs Rasenmähen. Selbst im Schatten der mächtigen Trauerweide am nördlichen Ende des Grundstücks war der Rasen gestutzt. Ich folgte dem Kiesweg zum Haus, dessen rot getäfelte Fassade in der Mittagssonne leuchtete, und freute mich, wieder zu Hause zu sein. Alles sah so vertraut aus, der Erker auf der linken Seite, die überdachte Veranda, das darüber liegende Schlafzimmerfenster mit der zerknitterten Spitzengardine und der Schuppen, der sich ein wenig schief an die linke Hauswand lehnte.
    Meine Absätze klapperten über die Holzdielen, als ich über die Veranda ging. Ich fischte den Schlüssel aus meiner Jeanstasche und schloss die Tür auf. Nach den Wochen im Krankenhaus, mit seinen weißen Wänden und der steril wirkenden Einrichtung, erschien mir mein eigenes Haus fremd. Ich verspürte den Drang, durch die Räume zu gehen, mit der Hand über die Möbel zu streichen und mich mit allem wieder vertraut zu machen. Ich warf den Schlüssel auf das Tischchen neben der Tür und stellte meine Tasche am Fuß der Treppe ab. Bevor ich meine Sachen nach oben brachte, wollte ich nach Popcorn sehen. Die größten Chancen, ihn zu finden, hatte ich in der Küche, bei seinem
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