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Raum

Raum

Titel: Raum
Autoren: Emma Donoghue
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nicht.
    Ich glaube, vielleicht habe ich ihn ja aus Versehen verschluckt. Vielleicht kommt er ja auch gar nicht mit meiner Kacka raus, vielleicht versteckt er sich für immer irgendwo in einer Ecke von mir drin.
     
     
     
    In der Nacht flüstere ich: »Ich bin noch immer angeschaltet.«
    »Weiß ich«, sagt Ma. »Ich auch.«
    Der Raum, in dem wir schlafen, ist MAS RAUM , der ist im Selbstbestimmtes Wohnen, und das ist in Amerika, und das klebt an der Welt, die ist ein blauer und grüner Ball, der eine Million Kilometer dick ist und sich die ganze Zeit dreht. Das Draußen von der Welt heißt Weltraum. Ich weiß auch nicht, warum wir nicht runterfallen. Ma sagt, es ist die Schwerkraft, das ist so eine unsichtbare Macht, die uns am Boden hält, aber spüren kann ich sie nicht.
    Das gelbe Gesicht von Gott kommt rauf, wir gucken aus dem Fenster zu.
    »Hast du schon gemerkt?«, fragt Ma. »Jeden Morgen kommt es ein bisschen früher.«
    Es gibt sechs Fenster in unserem Selbstbestimmtes Wohnen, in jedem ist ein anderes Bild, aber manchmal von denselben Sachen. Mein Lieblingsbild ist das im Badezimmer, weil das ist nämlich eine Baustelle. Ich kann runtergucken und die ganzen Kräne und Bagger sehen. Ich sage ihnen die Dylan-Wörter auf, das gefällt ihnen.
    Ich mache im Wohnzimmer meinen Klettverschluss zu, wir gehen nämlich raus. Ich sehe den Platz, wo die Vase war, bis ich sie geworfen habe. »Wir könnten doch nach einer neuen fragen, als Sonntagsgutti«, sage ich zu Ma, aber dann fällt es mir wieder ein.
    Ihre Schuhe haben Schnürsenkel, die bindet sie jetzt zu. Sie guckt mich an, aber nicht sauer. »Weißt du, den brauchst du nie mehr wiederzusehen.«
    »Old Nick.« Ich sage den Namen, weil ich wissen will, ob er sich gruselig anhört, und das tut er auch, aber nicht besonders.
    »Ich muss, aber nur noch ein einziges Mal«, sagt Ma. »Wenn ich ins Gericht gehe. Aber das dauert noch Monate und Monate.«
    »Warum musst du denn?«
    »Morris sagt zwar, ich könnte es auch über eine Videoschaltung machen, aber ehrlich gesagt, will ich ihm in die dreckigen kleinen Augen schauen.«
    Dreckig? Ich versuche, mich an seine Augen zu erinnern. »Vielleicht fragt er dann ja uns nach einem Sonntagsgutti, das wäre lustig.«
    Ma lacht, aber nicht nett. Sie guckt in den Spiegel und macht sich schwarze Linien um die Augen und tut Knallrot auf ihren Mund.
    »Du siehst aus wie ein Clown.«
    »Das ist nur Make-up«, sagt sie. »Damit ich besser aussehe.«
    »Du siehst doch immer besser aus«, sage ich ihr.
    Sie grinst mich im Spiegel an. Ich tue meine Nase an den Rand und meine Finger in die Ohren, und dann wackele ich damit.
    Wir halten uns an der Hand, aber die Luft ist heute ganz warm, davon werden sie glitschig. Wir gucken in die Fenster von den Geschäften, aber rein gehen wir nicht, nur vorbei. Die ganze Zeit sagt Ma, dass alles haarsträubend teuer ist, und wenn nicht, dann ist es Schrott. »Da drin verkaufen sie Herren und Damen und Kinder«, sage ich ihr.
    »Was?« Sie dreht sich schnell um. »Aber nein. Weißt du, das ist ein Bekleidungsgeschäft, und wenn da steht: Herren, Damen, Kinder , dann heißt das bloß, dass es für die alle Anziehsachen gibt.«
    Als wir über eine Straße rübermüssen, drücken wir auf den Knopf und warten auf den kleinen silbernen Mann, der passt auf, dass uns nichts passiert. Dann gibt es was, das sieht aus wie Beton, aber da quieken und springen alle möglichen Kinder, weil sie nass werden wollen, so was heißt Splashpad. Wir gucken ein bisschen zu, aber nicht zu lange, weil Ma sagt, sonst halten die uns noch für verrückt.
    Wir spielen Ich sehe was, was du nicht siehst. Dann kaufen wir uns Eis, das ist das Allerbeste auf der Welt, meins ist Vanille, und das von Ma ist Erdbeere. Beim nächsten Mal können wir auch andere Sorten nehmen, es gibt Hunderte. Ein großer Klumpen ist auf dem ganzen Weg nach unten kalt, und mein Gesicht tut davon weh. Ma zeigt mir, wie ich meine Hand über meine Nase lege und die warme Luft einschnaufe. Ich bin jetzt seit dreieinhalb Wochen in der Welt und weiß immer noch nicht, was alles wehtun kann.
    Ich habe ein paar Münzen, die hat Stiefpa mir gegeben, ich kaufe Ma eine Spange für ihre Haare, da ist ein Marienkäfer drauf, aber nicht in echt.
    Sie sagt immer wieder Danke und Danke und Danke.
    »Du kannst ihn für immer behalten, sogar wenn du tot bist«, erkläre ich ihr. »Bist du vor mir tot?«
    »Das ist der Plan.«
    »Warum ist das der Plan?«
    »Na ja, wenn
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