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Raststätte Mile 81

Raststätte Mile 81

Titel: Raststätte Mile 81
Autoren: Stephen King
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grünen Wagen, der mit eingeschalteter Warnblinkanlage hinter einem mit Schlamm bedeckten Kombi stand. Ein Mann – vermutlich gehörte er zu dem kleinen, grünen Wagen – schien sich in die offene Tür des Kombis zu beugen und mit dem Fahrer zu sprechen. Panne, dachte der Lieferwagenfahrer und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Kein barmherziger Samariter, er nicht.
    Doug Clayton wurde in das Fahrzeug gerissen, als hielten Hände – welche mit großen Handflächen und bleistiftdünnen Fingern – ihn am Hemd gepackt und zerrten daran. Der Kombi verlor seine Form und kräuselte sich nach innen wie ein Mund von jemand, der etwas außergewöhnlich Saures kostete – oder etwas außergewöhnlich Süßes. Aus seinem Inneren kam eine Folge einander überlappender Knackgeräusche – als würde ein Mann mit schweren Stiefeln durch dürres Gehölz stapfen. Der Kombi blieb ungefähr zehn Sekunden lang nach innen gekräuselt und sah dabei mehr wie eine klumpige Faust als wie ein Auto aus. Dann sprang er mit einem Tock!, als würde ein Tennisball mit Schwung von einem Schläger getroffen, in seine Kombiform zurück.
    Die Sonne spitzte durch die Wolken, spiegelte sich auf dem fallen gelassenen Handy und beschrieb kurz einen heißen Lichtkreis um Dougs Ehering. Dann ging sie wieder hinter den Wolken in Deckung.
    Hinter dem Kombi blinkte der Prius mit seinen Warnblinkern. Das leises Geräusch erinnerte an ein Uhrwerk: Tick … tick … tick.
    Einige weitere Autos fuhren vorbei. Die beiden Arbeitswochen vor und nach Ostern waren die verkehrsärmsten Zeiten auf Amerikas Turnpikes, und der Nachmittag war die zweitschwächste Zeit des Tages; nur in den Stunden zwischen Mitternacht und fünf Uhr war der Verkehr noch schwächer.
    Tick … tick … tick.
    In dem ehemaligen Restaurant schlief Pete Simmons weiter.

3. Julianne Vernon (Dodge Ram, Bj. 2005)
    3. JULIANNE VERNON
    (Dodge Ram, B j . 2005)
    Julie Vernon brauchte keine alte King-James-Bibel, um zu wissen, wie man ein barmherziger Samariter war. Sie war in der 2400 Seelen zählenden Kleinstadt Readfield, Maine, aufgewachsen, wo Nachbarschaftshilfe zur Lebensart gehörte und auch Fremde Nachbarn waren. Das hatte ihr niemand einhämmern müssen; sie hatte es sich von ihrer Mutter, ihrem Vater und ihren großen Brüdern angeeignet. Sie alle verloren kaum ein Wort über solche Dinge, aber mit gutem Beispiel voranzugehen war nun einmal die wirkungsvollste Unterweisung. Wenn man jemand am Straßenrand liegen sah, spielte es keine Rolle, ob er ein Samariter oder ein Marsianer war. Man hielt an, um zu helfen.
    Sie hatte auch nie gefürchtet, sie könnte von jemand, dessen Hilfsbedürftigkeit nur vorgetäuscht war, ausgeraubt, vergewaltigt oder ermordet werden. Julie war die Art Frau, die vermutlich eine gute Ehefrau abgeben würde, denn – in der Ausdrucksweise der alten Yankees aus Maine, von denen es noch einige gab – »sie gibt dir Wärme im Winter und Schatten im Sommer«. Als die Schulkrankenschwester sie in der fünften Klasse nach ihrem Gewicht gefragt hatte, hatte Julie stolz geantwortet: »Mein Dad sagt, dass ich ungefähr fünfundsiebzig auf die Waage bringe. Ohne Klamotten etwas weniger.«
    Jetzt, mit fünfunddreißig, brachte sie eher hundertfünfundzwanzig auf die Waage und hatte kein Interesse daran, irgendeinem Mann eine gute Ehefrau zu sein. Sie war lesbisch wie nur irgendwas und stolz darauf. Auf der hinteren Stoßstange ihres Rams klebten zwei Aufkleber. Einer forderte: UNTERSTÜTZT DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER GESCHLECHTER. Der andere, in grellem Pink, verkündete: SCHWUL IST EIN GEILES WORT!
    Die Aufkleber waren jetzt nicht zu sehen, weil sie den »Hoss-Trailah« zog, wie sie ihren Pferdeanhänger nannte. Sie hatte in der Kleinstadt Clinton eine zweijährige Spanish-Jennet-Stute gekauft, mit der sie nun auf der Rückfahrt nach Readfield war, wo sie mit ihrer Partnerin auf einer Farm lebte, die nur zwei Meilen von ihrem Elternhaus entfernt war.
    Eben dachte sie, wie so oft, an ihre fünf Jahre auf Tournee mit The Twinkles, einem Frauenteam für Schlammringkämpfe. Diese Jahre waren sowohl schlecht als auch gut gewesen. Schlecht, weil die Twinkles allgemein als Kuriosität angesehen wurden (was sie in gewisser Weise wohl auch waren). Und gut, weil sie mit ihnen so viel von der Welt gesehen hatte. Hauptsächlich von der amerikanischen Welt, wohl wahr, aber die Twinkles waren einmal drei Monate durch England, Frankreich und Deutschland getourt, wo sie fast
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