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Ramses Mueller

Titel: Ramses Mueller
Autoren: Tex Rubinowitz
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ihre jeweiligen Nationen gelegt hatten, es waren einfach nach dem Krieg keine Männer mehr da, da musste man improvisieren, und die Frauen schnappten sich, wenn sie Mut hatten, die jungen Männer, die kamen rein, das Vakuum zischte raus, oder sie wurden Lesben, die Dietrich entschied sich für beides. Jetzt ruhig, alle schweigen, das stockende Gespräch (über Madonna – auch eine Frau mit Hang zu jüngeren Männern) ebbt ab, denn die sechs Portionen Labskaus werden aufgetragen, zumindest ist in einem Punkt das Zeug ehrlich, es sieht so hässlich aus, wie es schmeckt, da muss niemand irgendwem was vormachen, das ist fair, na, vielleicht geht’s ja mit dem Radeberger runter, Lydia schaut das Gericht entsetzt an, ihre Augen ganz groß, die Mutter hätte wieder gelacht, wie soll sie das essen, wie soll sie das runterbringen, dieser riesige, primitive Haufen, ihr wird kalt, sie fühlt sich klein und nutzlos, noch kleiner und nutzloser als sonst, ein Rollmops liegt neben dem Gericht, er scheint sie anzuschauen, auch wenn da keine Augen mehr dran sind, dieser kleine, blaue, saure Fisch, er sagt, ich versteh dich, ich versteh’s selbst nicht, wenn das Konzept Essen gewaltig missverstanden wird, vielleicht hört man irgendwann das Hohngelächter aus der Küche, der Küche der Hundekehle , der dreckige Koch, er hatte ganz schmutzige Finger, das hat sie sofort gesehen, als er auftrug, er ist Koch und Kellner in einem, die klassische Doppelbegabung, unter den Nägeln der Trauerrand, wenn der Rollmops Schultern hätte, würde er mit ihnen zucken, ich kann auch nichts dafür, tut mir leid, Hulda. Wieso kennt er ihren Namen, ihren richtigen Namen? In der Not sind wir alle gleich klein, und alle aufs Wesentliche zurückgeworfen, nackt, nur Haußmann darf seine Socken anbehalten. Einen großen Schluck Bier, den würde sie gerne machen, aber sie kann nur wie ein Vögelchen trinken, kleine Schlucke, immer absetzen die Flasche, und dann Neustart, Männer können mehrere Schlucke hintereinander gluckern, das ist bei Frauen und insbesondere bei ihr anders, das Kehlsystem, ist es ein Vorteil oder ein Nachteil? Hier ein Nachteil, sie will sich blind trinken, sie will das nicht sehen, was da vor ihr steht und was den »Männern« zu schmecken scheint, nur Schubal stochert ein bisschen skeptisch im Brei, aber zumindest stochert er, sie schafft nicht mal das, sie kann die Gabel nicht anfassen, die ein Mann mit dreckigen Händen angefasst hat. Sie weint. Erst still, weil sie niemanden beleidigen will, wie sie sich einredet, dann immer heftiger, sie zuckt, sie schluchzt richtig, konvulsivisch, alle starren sie an, das hat sie nicht gewollt, sie tut sich jetzt so leid, dass sie die Stimmung hier verunreinigen muss.
    – Was ist, was fehlt dir, Lydia?
    Alle bis auf Armin, der mit seiner unverschämten, immer noch mit Lippenstift verschmierten und verrutschten Visage grinst, nehmen Anteil, was hat sie, ja, was hat sie? Es läuft alles nicht so, wie sie sich das vorstellt, das war noch nie so, und sie hat es irgendwie ordnen können, alles an seinen Platz, aber jetzt gerade kommt alles doch wieder zusammen, wie sehr bräuchte sie jetzt die Mutter, ihr Lachen könnte ihr jetzt helfen und alles erleichtern, Lydia fühlt, sie hat auch keine Frisur mehr, nur noch Haare, ein Symbol für ihre Gesamtsituation, in Zeiten großer Niedergeschlagenheit melden sich zuerst immer die Haare, sie sacken müde zusammen, der Halt ist raus, es gibt nur noch einen, der ihr hier raushelfen könnte, das ist Schlingensief, mit allen anderen ist nichts zu machen, die haben ihren Test nicht bestanden, Schubal, das große Loch, suhlt sich in der Kotze der Nacht, Armin, der sich einbildet, sie hätten sich geküsst, ein Phantast, Ramses, den sie am längsten kennt (zwei Tage), offenbar schwul, Haußmann mit den Puppenfüßen, nur Schlingensief, wenn er jetzt eine Art Superheld wäre, sollte sie schnappen und durch die Wand brechen und befreien, aber sie mag ihn nicht, er hat etwas Schäbiges, diese Haare, wie ein Hund, auch sein Wesen, freundlich, aber auch devot, doch seine Freundlichkeit ist eine schnippische Freundlichkeit, so, als hätte er immer Hintergedanken, er scheint wie gemacht zu sein für dieses Lokal, was sagt sie jetzt? Sie kann nichts erzählen von ihrer Einsamkeit, dass alle immer nur ihre Schönheit sehen und denken, dahinter kann nichts sein, sie hat keine Freunde, keinen Freundinnen, für die wäre sie eine Bedrohung, die lachende Mutter in Bad Salz
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