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RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)

Titel: RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Autoren: John Carlin , Rafael Nadal
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weiteren für mich ermutigenden lauten Schrei veranlasste. Mit zwei großartigen Aufschlägen entschied ich das Spiel für mich.
    Nun stand es 1:1, und er hatte Aufschlag. Ich hatte Blut geleckt. Seit Beginn des dritten Satzes war die Initiative auf meiner Seite, und ich hatte nicht vor, sie abzugeben. Meine Beine waren noch frisch, und ich verspürte eine Woge des Selbstvertrauens. Er wurde dagegen körperlich und mental müde, was sich in den ersten beiden Ballwechseln des Spiels zeigte, die er mit ungemein lahmen Schlägen verlor. Sein erster Aufschlag kam allerdings immer noch gut und war sein Rettungsanker, aber nachdem ich einen donnernden Vorhand-Winner an ihm vorbei gedroschen hatte, gab er das Spiel zu 30 ab. Ich hatte mein Break und konnte nun bei eigenem Aufschlag meinen Vorsprung zum 3:1 ausbauen.
    Wenn ich in Führung liege, habe ich die Tendenz, defensiv zu spielen. Wie gut ich mich fühlte, lässt sich daran ablesen, dass ich im Laufe dieses Satzes mehr und mehr in die Offensive ging und bei einem Ballwechsel nach dem anderen mehr und mehr die Initiative ergriff. Genau das tat ich im vierten Spiel, wo ich Djokovic nach rechts, nach links und wieder nach rechts schickte und ihn so unter Druck setzte, dass er keine Kraft mehr hatte und eine schwache Vorhand ins Netz schlug. Ich gewann das Spiel unter anderem mit zwei Assen zu null. Nachdem ich nun meinen Aufschlag durchgebracht und mein Break gegen Djokovic konsolidiert hatte, ging ich davon aus – beim Stand von 3:1 –, dieses Match im Griff zu haben.
    Im Tennis gibt es eine ungeschriebene Regel, dass man nicht zeigen darf, wenn man müde ist. Er hatte es aufgegeben, sich auch nur darum zu bemühen. Seine Körpersprache zeugte von Resignation, als seien ihm die Antworten auf meine Herausforderungen ausgegangen. Jetzt war der Moment gekommen, das Doppelbreak zu versuchen und das Match zu entscheiden. Mein Instinkt sagte mir, auf Sicherheit zu spielen, aber mein Verstand hielt die Zeit für reif, in die Offensive zu gehen. Ich wollte keine Sekunde in meinem Druck auf Djokovic nachlassen. Da ich wusste, wie sprunghaft er war, musste ich es um jeden Preis vermeiden, ihm eine Lücke zu lassen, die ihm die Chance bot, sein Selbstvertrauen und seine Bestform wiederzufinden. Ich warf einen flüchtigen Blick zu meinem Team und meiner Familie hinauf und sah Tuts strahlen und Toni ernst und konzentriert wie immer dreinschauen. Als ich seinem Blick begegnete, sagte er so laut, dass ich es gerade noch über den Lärm hinweg hören konnte, der Moment sei gekommen, aufs Ganze zu gehen. Genau das wollte ich hören. Mein strengster Kritiker bestätigte meine Einschätzung des Spielverlaufs.
    Ein zweites Break gegen Djokovic zu schaffen fiel mir nicht so schwer, wie ich erwartet hatte. Gleich beim ersten Ballwechsel schlug er eine Vorhand wild ins Aus, und beim nächsten nutzte ich meinen Vorteil zu einem Vorhand-Drive, der ihn auf der völlig falschen Position erwischte, und holte damit den Punkt. Mit einem Doppelfehler geriet er 0:40 in Rückstand. Meine erste Chance vergab ich durch eine zu lange Vorhand, aber dann schlug er eine simple Vorhand ins Netz, gab damit das Match so gut wie auf und brüllte verzweifelt. Ich ging mit 4:1 in Führung, lag 2:1 Sätze vorn und hatte Aufschlag.
    Wenn der Aufschlag so gut kommt damals wie bei mir, eliminiert man aus seinem Spiel eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten, die einem Sorgen bereiten könnte. Bei der Vorbereitung auf den Aufschlag denkt man zu Beginn eines Spiels nicht: »Bitte, bitte, lass mich nicht im Stich.« Vielmehr ist der Aufschlagrhythmus wie automatisiert, und der Körper erledigt diese Aufgabe beinahe von selbst. Mental ist das von unschätzbarem Wert. Man ist erheblich ruhiger und kann sich befreit auf die anderen Aspekte seines Spiels konzentrieren.
    Soweit die Theorie, die auch in der Praxis hätte gelten sollen. Aber nein. An diesem Punkt fing mein Kopf wieder mit seinen seltsamen Tricks an. Da stand ich nun, sollte meinen Aufschlag zum 5:1 durchbringen, während mein Gegner eindeutig auf dem letzten Loch pfiff, und bekam plötzlich Angst wie zwei Jahre zuvor in Wimbledon im kritischen Moment des vierten Satzes. Wie damals packte mich die Angst zu gewinnen. Alles deutete darauf hin, dass ich das Match in der Tasche hatte. Wie oft in meiner Karriere hatte ich ein Match unter solchen Umständen verloren, nachdem ich durch ein Doppelbreak in Führung gelegen hatte? Viermal? Nein, wohl eher zweimal. Falls
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