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Rachesommer

Rachesommer

Titel: Rachesommer
Autoren: Andreas Gruber
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Substanz Paracetamol, ein Schmerzmittel, das bei Migräne, Arthrose oder Zahnschmerzen verabreicht wurde. Im Gummistopfen am Flaschenhals entdeckte Pulaski zwei Einstiche. Die Kleine hatte die Spritze also zweimal aufgezogen und damit die ganze Flasche geleert.
    Er betrachtete die Armbeuge des Mädchens. Neben der Stelle, wo die Nadel unter die Haut ging, befanden sich drei weitere Einstiche. Offensichtlich zwei gescheiterte Versuche, die Vene zu treffen. Beim dritten und vierten Mal hatte es dann geklappt. Warum so kompliziert? Weshalb hatte sie sich keinen Butterfly gesetzt? Außerdem war Selbstmord durch Spritze bei Frauen unüblich. Ein einfacher Schnitt in die Pulsader hätte es auch getan. Das war der Klassiker. Oder war sie aus Erfahrung klug geworden?
    »Ab wie viel Milligramm wirkt Paracetamol tödlich?«, fragte Pulaski.
    »Kommt darauf an.« Steidl wiegte den Kopf. »Mit dieser Dosis hätte man zwar die Schmerzen aller Patienten dieser Station wegzaubern können. Aber tödlich? Unwahrscheinlich, selbst bei einer so mageren Person wie Natascha.«
    »Also keine Überdosis?«
    »Nur in Verbindung mit Alkohol.«
    In Verbindung mit Alkohol. Pulaski ließ Nadel, Spritze und Flasche in Plastiktüten verschwinden. Vielleicht war es gar nicht nötig, Glas und Kunststoff nach Fingerabdrücken zu untersuchen. Aber das konnte man im Voraus nie wissen!
    »Wo ist der Abschiedsbrief?«, fragte er, während er sich ächzend erhob.
    »Welcher Abschiedsbrief?«
    Pulaski deutete auf Nataschas Fingerkuppen. Rückstände von blauer Tinte hafteten an der Haut.
    Noch bevor Steidl antworten konnte, war Pulaski zum Tisch gegangen. »Ich darf doch?« Er zog die Schublade auf. Doch bis auf einen leeren Notizblock, eine Füllfeder, einen Radiergummi und einige Buntstifte befand sich nichts darin. Pulaski durchsuchte die Wäschefächer des Schranks. Nichts. Auch in den Büchern auf dem Wandregal lag kein Zettel. Neben Bukowskis Hot Water Music stand eine nahezu leere Flasche Gin.
    »Gehören Gin und Bukowski zur Therapie in dieser Anstalt?« Pulaski wartete keine Antwort ab und drehte die Flasche, um das Etikett zu lesen. Cadenheads Old Raj Gin. 55 Prozent Alkohol.
    Tödlich - nur in Verbindung mit Alkohol.
    Er war zwar einen Schritt weiter, hatte aber immer noch nicht gefunden, wonach er suchte. Irgendwo musste es eine Nachricht des Mädchens geben! Wo hast du sie versteckt?
    Steidl stand immer noch im Türrahmen. »Ich glaube nicht, dass …«
    »Pst!« Pulaski hob die Hand. Er betrachtete Nataschas feine Gesichtszüge. Dieses Mädchen nahm sich nicht so einfach das Leben, ohne einen Brief zu hinterlassen.
    Die blaue Tinte war höchstens einen Tag alt. Vielleicht sogar erst wenige Stunden. Dieses Mädchen hatte etwas zu sagen gehabt. Er musste es nur finden.
    Pulaski hob Nataschas Kopf, doch darunter befand sich nur das Kissen. Er öffnete ihren Mund und blickte in den leeren Rachen. Alkoholdunst schlug ihm entgegen. Gin. Er kannte den Geruch. Doch kein Zettel. Schließlich tastete er ihr Kleid ab. Ein merkwürdiges Gefühl erfasste ihn,, als er ihren Schambereich berührte und den Gummizug ihres Slips unter dem dünnen Stoff spürte. Etwas Hartes befand sich in ihrem Höschen, das dem Druck seiner Finger standhielt - und es war keine Damenbinde.
    Pulaski schob das Kleid über Nataschas Oberschenkel und entblößte ihren Unterleib. Der weiße Slip war eng geschnitten. »Was zum Teufel machen Sie da?« Pulaski hörte, wie Steidl an seine Seite trat.
    »Wonach sieht es denn aus?« Pulaski tastete mit den Fingern unter den Slip und bekam ein mehrfach zusammengefaltetes Blatt Papier zu fassen.
    Auf dem mit Füllfeder beschriebenen Bogen standen nur wenige Sätze.
     
    7
     
    Nach einer halben Stunde war Pulaski mit der Untersuchung des Zimmers fertig. Er hatte Fotos von dem Raum und der Leiche geschossen, Nataschas Fingerabdrücke abgenommen, Füllfederhalter, Brief, Kamm und Zahnbürste für spätere DNS-Spuren in Plastiktüten verpackt, ebenso das in Leder gebundene Tagebuch, das er unter Nataschas Kopfkissen entdeckt hatte. Er kannte das von seiner Tochter. Wie fast jeder Teenager in diesem Alter schrieb auch sie ihre Gedanken und Gedichte in ein Heft.
    Die Schrift in Nataschas Tagebuch war dieselbe wie auf dem Abschiedsbrief. Für den Vergleich brauchte er keine Expertenmeinung. Der letzte Eintrag stammte vom Samstag. Natascha hatte vermerkt, dass sie keine Albträume mehr habe und sich mit Sonja, ihrer Therapeutin, nun besser
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