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Racheopfer

Racheopfer

Titel: Racheopfer
Autoren: Ethan Cross
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Ligusterhecken stutzten. Weiter entfernt mähten andere Gartenarbeiter den Rasen und sammelten die abgefallenen Wedel der Weiden auf, die auf dem Gelände der Klinik standen.
    Ein Rumpeln riss Jennifer aus ihren Gedanken. Ein großer grauer Kastenwagen mit dem Emblem des DOC und ohne Heckscheiben störte die Stille und Schönheit der Landschaft, als er das Haupttor passierte und über den Schotterweg zum Hauptflügel fuhr.
    Ihr Herz schlug schneller, je näher der Kastenwagen kam. Mit einem Mal drehte die Welt sich um sie. Eine Woge der Übelkeit überkam sie.
    Unvermittelt legte sich eine Hand auf ihre Schulter.
    »Alles okay?«, flüsterte David McNamara.
    »Ja, es geht schon wieder.«
    »Du brauchst nicht hier zu sein.«
    »Doch. Ich muss ihn sehen. Ich muss ihm in die Augen schauen.«
    David drückte ihre Schulter. »Damit bist du nicht allein.«
    Sie hob die Hand, legte sie auf seine Finger. »Danke!« Doch sie war allein, und David würde niemals begreifen, was sie tun musste.
    Der Kastenwagen fuhr rückwärts an den Eingang. David McNamara ließ seine Leute zu beiden Seiten des Hecks Aufstellung nehmen. Die Männer waren mit Repetiergewehren und Tasern bewaffnet.
    Dann stiegen die Beamten des DOC aus und öffneten vorsichtig die Hecktüren. Im Innern des Wagens war es dunkel. Der Laderaum war fast leer, nur ein Mann war an einen Sicherheitstransportsessel geschnallt. Die DOC-Beamten stiegen in den Laderaum, während die Wärter den Gefangenen in Schach hielten. McNamara forderte sie auf, die Fesseln zu prüfen. Nach einer letzten Bestätigung rollten sie den Transportsessel mit dem Gefangenen aus dem Fahrzeug.
    Als die Sonne auf ihn fiel, kniff Francis Ackerman junior die Augen zusammen und drehte den Kopf. Doch er schien sich gleich darauf an die Helligkeit gewöhnt zu haben, denn er blickte zum Himmel. Jennifer beobachtete, wie er die frische Luft tief einatmete.
    Hoffentlich genießt du es, du Hurensohn, denn du bekommst zum letzten Mal einen Geschmack von der Welt außerhalb einer Zelle , schoss es ihr durch den Kopf. Wut kochte in ihr hoch. Sie brauchte all ihre Selbstbeherrschung, um den Killer nicht anzugreifen. Sie zitterte, und Schmerzen schossen durch ihre Handflächen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Fäuste so fest geballt hatte, dass ihr die Fingernägel in die Haut drangen.
    Als die Wärter den Sicherheitstransportsessel mit dem Gefangenen an Jennifer vorbeischoben, blickte Ackerman ihr in die Augen. Sie machte gar nicht erst den Versuch, ihren Zorn und ihren Abscheu zu verbergen. Sie wollte, dass er sie erkannte und begriff, was ihm bevorstand.
    Doch gleichzeitig bebte sie innerlich vor Angst.
*
    Francis Ackerman junior war nicht nur Serienmörder, er war auch ein Ausbrecherkönig. Er wusste, dass einer Flucht normalerweise kein ausgeklügelter, komplizierter Plan zugrunde lag. Wer floh, nutzte in der Regel eine Schwachstelle aus. Voraussetzung dafür war geistige Vorbereitung: Wie reagierte man, wenn sich ein Riss in der Panzerung zeigte? Ackerman war zu einem Experten geworden, was das Registrieren von Kleinigkeiten anging – die winzigen Änderungen im Alltagsablauf, die kleinen Abweichungen von der Norm.
    Während die Wärter ihn aus dem Transportfahrzeug in sein neues Zuhause rollten, registrierte Ackerman eine Gruppe von Bauarbeitern, die einen halb verfallenen Flügel der Klinik verließen. Er prägte sich Größe und Gewicht jedes einzelnen Wärters ein. Er sah einen von ihnen hinken - offenbar ein Knieleiden, das sich möglicherweise nutzen ließ. Er sah jedes Detail der Sicherheitsvorkehrungen, die Positionen der Überwachungskameras, das Blickfeld der Wärter. Er bemerkte auch eine alte Freundin mit kastanienbraunem Haar, die ihn am Eingang empfing, und den Mann neben ihr, der ihr auf liebevolle, vertrauliche Weise eine Hand auf die Schulter gelegt hatte.
    Ackerman lächelte vor sich hin. Die Lücke im alltäglichen Ablauf, die er zur Flucht nutzen würde, brauchte er gar nicht selbst herbeizuführen.
    Er hatte den starken Verdacht, dass seine alte Freundin sich schon bereithielt.

4
    Nur mit einer marineblauen Fleecedecke bekleidet schaute Jennifer aus dem Bürofenster und beobachtete die aufziehenden Gewitterwolken. David trat neben sie an die Scheibe und zog sie an sich. Durch die Decke spürte sie die Wärme seines Körpers. Sie reckte den Hals und rieb ihr Haar an seiner Brust.
    »Was ist los?«, fragte er. Jennifer konnte seine tiefe Südstaatlerstimme gar nicht oft genug
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