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Rabinovici, Doron

Rabinovici, Doron

Titel: Rabinovici, Doron
Autoren: Anderrnorts
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bleiben.
Höchstens für zwei Jahre«, sagte er, und Ethan verbiß sich die Bemerkung, daß
zionistische Vorsätze den Weg in die Diaspora pflastern. Er zog seine Jacke
aus, nahm einen Pullover aus seiner Tasche, stand auf und bat die Frau, ihn
vorbeizulassen, er müsse auf die Toilette.
    Er zwängte sich an einer
Traube stämmiger bucharischer Männer vorbei, die sich angeregt auf russisch
unterhielten, wich in eine Sitzreihe aus, als ihm ein Trolley nebst
Flugbegleiter entgegenrollte, und ging weiter. Ihn grüßte ein Bekannter, dem er
einmal bei einer Veranstaltung im Gemeindezentrum begegnet war. Schon beim
Einsteigen hatte er den Mann gesehen. Da hatte er noch eine Kippa getragen. Nun
war sie schon verschwunden.
    Vor dem Klo etliche Leute. Er
wartete und hatte das Gefühl, im Stehen einzuschlafen. Ein Bub drängte sich vor
und sagte auf hebräisch, er könne nicht warten, weil er noch klein sei.
    Auf der Toilette meinte er zu
sehen, daß sein von der Sonne gerötetes Gesicht plötzlich wie ausgebleicht war.
In Israel ähnelte er immer jenen Touristen, die sich rösten ließen, bis sie
verbrannt waren. Er paßte auf, doch seine Haut reagierte beinahe allergisch.
Das Haar, vor wenigen Stunden goldbraun, schien ihm nun im Kontrast zu seiner
Blässe erdfarben. Diese Verwandlung konnte nicht nur mit dem Neonlicht zu tun
haben, das alle Farben in dem kleinen Waschraum löschte. War es Einbildung? Er
ließ Wasser in seine Hände rinnen, spritzte es sich ins Antlitz, feuchtete
seine Locken an und strich sie nach hinten. Er merkte, daß sich dadurch sein
Gesicht noch mehr veränderte. Es wirkte schmälet, seine Züge waren streng.
Zudem war seine Uhr naß geworden. Er nahm sie ab und rieb sie mit einem
Papierhandtuch trocken.
    Er wollte nicht an seinen
Platz zurückkehren, stand, nachdem er die Toilette verlassen hatte, im Gang
herum, als eine Flugbegleiterin mit einem Trolley herankam. Er entdeckte einen
freien Sitz, ließ sich nieder, da wurde ihm bereits ein Tablett hingeschoben.
Er wollte ablehnen, sah die Frau, die neben ihm saß, nickte ihr zu, und sie
schmunzelte, sagte in hebräisch gefärbtem Englisch und in begütigendem Ton, er
könne ruhig hier essen, denn ihr Nachbar sei ohnehin seit dem Start
verschwunden. Ethan packte die Speisen aus. In der Ablage vor ihm entdeckte er
das Wiener Blatt, das ihn um den Artikel über Dov gebeten hatte. Er schlug es
auf und stieß auf den Nachruf. Offenbar hatte es jemand anderer übernommen,
den Freund zu ehren. Der Autor erzählte zunächst aus Dovs Leben in Wien, wobei
von Flucht und Verfolgung nicht die Rede war, sondern immer nur von Emigration.
Dov Zedek sei auf der ganzen Welt als Streiter für Frieden und Verständigung
bekannt gewesen. Wer Zedeks deutsche Ansprachen, seine jüdischen Witze und
seinen Wiener Schmäh gehört habe, könne nicht anders, als ihn für einen Gegner
jeglichen Nationalismus zu halten. Dennoch müsse gesagt werden, daß der
Kibbuz, den er einst mitbegründet hatte, auf arabischem Boden entstanden war.
So dialogfreudig Zedek immer aufgetreten sei, im Grunde seines Herzens habe er
für die Vision vom exklusiv jüdischen Staat im Heiligen Land gelebt. Kritisch
hatten manche in Israel auch seinen Einsatz für das Gedenken beurteilt, die
Fahrten jüdischer Jugendlicher nach Auschwitz etwa, die Zedek initiiert hatte.
Vielleicht gelte es, von der Debatte zu lernen, die derzeit unter Juden
schwele. Und nun berief sich der Autor des Nachrufs auf einen Artikel in einer
hebräischen Zeitung, in der ein bekannter Intellektueller über organisierte
Gruppenreisen israelischer Jugendlicher nach Auschwitz herzog. Birkenau sei
kein Jugendlager und die Schornsteine der Verbrennungsöfen eigneten sich nicht
für Lagerfeuerromantik. Die Kinder mit ihren klingelnden Mobiltelefonen und
tönenden iPods sollten den Krematorien lieber fernbleiben. Sie würden bei diesen
Reisen bloß lernen, daß die ganze Welt Feindesland sei. Einige von ihnen wären
interessiert, manche sensibel, doch im Kollektiv würden sie zu einer ignoranten
und voreingenommenen Bande, immer bereit, gegen die anderen, die Polen, die
Deutschen, die Nicht-Juden, geeint zu sein. Es wäre besser, mit der Jugend
einige Kilometer in den Osten zu fahren, in die besetzten Gebiete, um ihnen zu
zeigen, was um sie herum geschehe.
    Er legte das Blatt zur Seite
und blickte zu der Frau hinüber. Auf englisch fragte er, ob er ihr etwa die
Zeitung weggenommen habe?
    Sie schüttelte den Kopf, bot
ihm ihre
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