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Quadriga: Kriminalroman (German Edition)

Quadriga: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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unauffälliges Auftreten zugelegt.
Man könnte auch sagen: modelliert. Was für einen Künstler seines Kalibers zweifellos
zutreffender war. Verschlafen gähnte er, als er kurz in der geöffneten Tür des Rahmengeschäftes
stehen blieb und das morgendliche Treiben in der Gasse beobachtete. Sein Nachbar,
Signor Veneto, sperrte gerade geräuschvoll den Rollladen seines Geschäftslokals
auf. Einige Touristen trotteten vorbei. Zwischen ihnen fuhren Einheimische, die
Waren in die umliegenden Geschäfte lieferten, mit voll gepackten Stechkarren hin
und her. Nach kurzem Verweilen schloss er die Tür hinter sich und ging nach rückwärts
in die Werkstatt. Er machte sich an die Arbeit, an das Ausgießen von Gipsabdrücken.
Diese Teile würde er dann über einem Drahtgerüst zu einer nackten Knabenfigur zusammenfügen.

Sechs
     
    Er saß bei seinem zweiten Glas Vino
bianco und hatte den Blues. Es widerte ihn an, aufzustehen und nach San Marco zu
gehen. Nein, er wollte heute das ekelhafte Touristenpack nicht sehen. Diese Schießbudenfiguren,
die einen Stadtrundgang in deutscher Sprache gebucht hatten. Er wollte nicht mit
einem lächerlichen Fähnchen auf hoch erhobenem Regenschirm voranschreiten und einen
Haufen schlecht gekleideter Menschen durch die engen Gassen rund um den Markusplatz
und durch den Markusdom dirigieren. Heute war es sonnig und warm, da würde es besonders
schlimm werden. Frauen knapp vor oder bereits im Pensionsalter in kurzen Hosen und
Röcken, die schamlos bläuliche Krampfader-Geflechte sowie käsig-weiße Cellulitis-Wucherungen
entblößten. Männer mit üblen Haarschnitten, Bierbäuchen und in Birkenstock-Sandalen,
die ihre ungepflegten Zehennägel und die von grindiger Hornhaut verunstalteten Fersen
ungeniert zur Schau stellten. Ein kalter Schauder rieselte über Lupinos Rücken,
und er bestellte ein weiteres Glas. Sollte er Laura anrufen und ihr vorjammern,
dass er krank sei? Sie würde es ihm nicht glauben. Schließlich kannte sie ihn seit
über zwei Jahrzehnten. Schon am Tonfall seiner Stimme würde sie erkennen, dass er
nicht krank, sondern lustlos war. Und dann würde sie ihm vielleicht die tägliche
Standardtour wegnehmen. Damit hätte er kein geregeltes Einkommen mehr. Wollte er
das riskieren? Eigentlich war er nicht Fremdenführer, sondern Polizist. Mit Leib
und Seele. Auch die Arbeit als Detektiv war ihm nicht zuwider. Leute beobachten,
beschatten, ausforschen, Zusammenhänge aufdecken, Hintergrundinformationen besorgen,
all das war okay für ihn. Nicht okay war hingegen, vor irgendwelchen wildfremden
Leuten mit Trinkgeld heischendem Grinsen den Fremdenführer zu mimen, der er nicht
war. In einem Schnellsiedeverfahren hatte ihn Laura Bagotti damals, als er aus dem
Polizeidienst hinausgeflogen war, als Fremdenführer angelernt. Er half ihr, eine
Lücke in ihrem Angebot zu schließen, denn es gab weit und breit keinen Venezianer,
der so gut Deutsch sprach wie er. Als er gerade am vierten Glas Vino bianco nippte,
läutete sein Handy. Dieser rabiate Klingelton war Laura. Er hob nicht ab. Stattdessen
knallte er einen Geldschein auf die Theke des Bacaro ai Fiori und hetzte fort.
     
    Eineinhalb Stunden später läutete
sein Handy neuerlich. Er befand sich mit seiner Touristengruppe gerade im Museum,
das dem Markusdom angeschlossen war. Das Display zeigte eine ihm unbekannte Nummer.
Und plötzlich bekam er schweißnasse Hände. War das der Vater des ermordeten Knaben,
dessen Anruf ihm Ranieri angekündigt hatte? Ohne auf seine Gruppe weiter zu achten,
stürzte er hinaus auf die Loggia des Markusdoms. Dort, neben der Quadriga stehend,
hob er ab.
    »Pronto!«
    Eine näselnde,
männliche Stimme fragte in wienerisch gefärbtem Deutsch:
    »Spreche
ich mit Signor Severino?«
    Nun schwitzte
Lupino am ganzen Körper. Mit leicht schleimendem Ton in der Stimme antwortete er:
    »Jawohl!
Ich bin Wolfgang Severino. Privatdetektiv. Womit kann ich behilflich sein?«

Sieben
     
    Die Sonne brannte unbarmherzig auf
seinen Sitzplatz. Marco hatte Schweißperlen auf der Stirn und konnte der Lehrerin
nur mit Mühe folgen. Die Hitze war Wahnsinn. Zum Glück rückte der Zeiger der Klassenuhr
beharrlich vor. Nur mehr sechs Minuten, bis es läuten würde. Marco merkte, wie ihm
Schweiß auf der linken Seite unter dem Kurzarmhemd, das ihm seine Mutter heute in
der Früh noch schnell gebügelt hatte, herunterlief. Es kitzelte, und er musste lachen.
Als ihn die Lehrerin fragte, was denn so lustig sei, schüttelte er verschämt
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