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Pyramiden

Titel: Pyramiden
Autoren: Terry Pratchett
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richtete sich auf.
    »Herr«, sagte er. »Ich bin hier.«
    »Nun gut«, erwiderte eine trockene, recht undeutlich klingende Stimme. Sie ertönte direkt neben dem linken Ohr des Schülers.
    Teppic blickte starr geradeaus. Bewegung kam in die Steinfigur, und Mericet wischte sich grauen Staub aus seinem knochigen Gesicht. Er nahm ein dünnes Rohr aus dem Mund, warf es beiseite, griff unter seinen Mantel und holte ein Klemmbrett hervor. Trotz der Hitze trug er dicke Kleidung; vermutlich hätte Mericet selbst in einem Vulkan gefroren.
    »Hmm«, brummte er und wählte einen deutlich mißbilligenden Tonfall, »Teppic. Tja.«
    »Eine angenehme Nacht, Herr«, erwiderte der Schüler. Der Prüfer musterte ihn eisig und gab zu erkennen, daß Bemerkungen übers Wetter sofort zu Minuspunkten führten. Er hob einen Stift und notierte etwas.
    »Du wirst zuerst einige Fragen beantworten«, sagte Mericet.
    »Wie Sie wünschen, Herr.«
    »Was ist die maximale zulässige Länge eines Wurfmessers?« zischte der Prüfer.
    Teppic schloß die Augen. Während der vergangenen Woche hatte er sich eingehend mit dem Handbuch für ehrenhafte Mörder beschäftigt. Im Gedächtnis öffnete sich eine Schublade, und darin knisterte die Seite mit den benötigten Angaben. Man wird nie nach Längen und Gewichten gefragt, verkündeten einige Schüler, die glaubten, alle Weisheit für sich gepachtet zu haben. Oh, sicher, die Lehrer gehen natürlich davon aus, daß man Gewichte, Längen und Wurfdistanzen paukt, aber sie fragen nie danach. Nie.
    Panik drehte den Zündschlüssel in Teppics Gehirn und gab Gas. Das Blatt erschrak, sprang aus der geöffneten Gedächtnisschublade und bot sich dem inneren Blick des jungen Assassinen dar.
    »Ein Wurfmesser darf maximal zehn Fingerbreiten lang sein – oder zwölf bei feuchtem Wetter«, zitierte Teppic. »Die Wurfdistanz …«
    »Nenn mir drei Gifte, die durch das Ohr zum Einsatz gelangen.«
    Wind flüsterte, doch er brachte keine Abkühlung, beschränkte sich nur darauf, die Hitze gleichmäßiger zu verteilen.
    »Herr, Wespenmilch, achorionisches Purpur und Teufelssaft, Herr«, antwortete Teppic bereitwillig.
    »Und Schpeim?« fragte Mericet blitzschnell und mit der Freundlichkeit einer kariösen Kobra.
    »H-herr, Schpeim ist kein Gift, Herr«, brachte Teppic hervor. »M-man verwendet es als Gegenmittel, um bestimmte Schlangengifte zu neutralisieren, und man gewinnt es …« Der junge Assassine beruhigte sich allmählich und kam zu dem Schluß, daß es sich manchmal auszahlte, stundenlang in alten Büchern zu lesen. »… man gewinnt es aus der Leber des aufblasbaren Mungo, der …«
    »Was bedeutet dieses Zeichen?« fauchte Mericet.
    »… der sehr selten ist und nur …« Teppic brach ab. Verwirrt betrachtete er die komplexe Rune auf der Karte, die ihm der Prüfer zeigte, hob dann wieder den Kopf und starrte an Mericets rechtem Ohr vorbei.
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, Herr«, sagte er. Aus dem Ohrwinkel hörte er, wie der Lehrer leise durchatmete und noch leiser brummte. Es klang irgendwie zufrieden.
    »Aber wenn man es umdreht«, fügte Teppic hinzu, »ergibt sich das von Dieben verwendete Symbol für ›Bellende und bissige Hunde in diesem Haus‹.«
    Einige Sekunden lang herrschte völlige Stille, und schließlich räusperte sich Mericet. »Ist der Strangulationsstrick allen Kategorien erlaubt?«
    »Herr, die Vorschriften lassen nur drei Fragen zu, Herr«, wandte Teppic ein.
    »Ah, das ist also deine Antwort, wie?«
    »Herr, nein, Herr. Eine harmlose Feststellung, Herr, weiter nichts. Herr, die Antwort auf Ihre Frage lautet: Der Strangulationsstrick kann von allen Kategorien getragen werden, aber nur Assassinen der dritten Stufe dürfen ihn als eine der drei Optionen verwenden, Herr.«
    »Bist du ganz sicher?«
    »Ich glaube schon, Herr.«
    »Du willst nicht noch einmal darüber nachdenken?« Mit der Stimme des Prüfers hätte man die Achse eines Lastkarrens schmieren können.
    »Herr, nein, Herr.«
    »Wie du meinst.«
    Teppic entspannte sich. Der Umhang klebte ihm am schweißnassen Rücken fest.
    »Ich möchte, daß du dich jetzt zur Buchhalterstraße begibst«, sagte Mericet wie beiläufig. »Beachte unterwegs alle Zeichen und so weiter. Ich warte im Raum unter dem Gongturm an der Ecke Revisionsgasse. Ah, und noch etwas: Bitte nimm das hier mit!«
    Er reichte Teppic einen kleinen Umschlag.
    Der Schüler bestätigte den Empfang mit einer Quittung. Mericet trat in den Schatten eines Schornsteins –
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