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Puppengrab

Puppengrab

Titel: Puppengrab
Autoren: Kate Brady
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doch bitte etwas. Heinz ist wieder da. Er hat dich vermisst.« Er umfasste ihr kleines Gesicht mit den Händen und drehte es zu sich, damit sie ihn ansehen konnte. »Komm schon, Häschen, sag etwas.«
    Ihr Puls ging normal, ebenso die Atmung. Es hatte keine Anzeichen von Knochenbrüchen oder anderen Verletzungen gegeben, bis auf ein paar blaue Flecken an ihren Armen – ungefähr die Größe einer männlichen Hand. Sie hatten sie am Kopf und auf Knochenbrüche untersucht, bevor man sie aus dem Kofferraum herausgeholt hatte, aber sie schien unverletzt zu sein.
    Doch sie wachte auch nicht wieder auf.
    »Abby.« Neil hob die Stimme. »Lieber Himmel, Abby, sag doch etwas …«
    »Hey, sehen Sie sich das mal an.« Ein Deputy schob sich durch den Kreis der Beamten, in der Hand einen Plastikbeutel. Darin befand sich ein Medikamentenfläschchen. Neil konnte den Namen auf dem Etikett nicht lesen, aber es sah nach einer dunkelroten Flüssigkeit aus.
    »Benadryl für die Nacht«, sagte der Deputy. »Sieht aus, als würde die Menge von zwei Kappen fehlen, und die Verschlusskappe ist hier.«
    Neil blickte sich panisch um. »Er hat ihr Drogen verabreicht?«
    Harrison lachte. »Mann, meine Frau hat das meinen Kindern schon hundert Mal gegeben. Benadryl.« Er klang hocherfreut. »Haut sie völlig aus den Latschen, wenn es sie nicht gerade total aufputscht.«
    Der Knoten in Neils Brust lockerte sich ein wenig. Harrison lächelte noch immer. Neil hatte gar nicht gewusst, dass er verheiratet war, geschweige denn ein Vater, aber er schien zu wissen, wovon er sprach. »Sind Sie sich sicher, Mann?«
    Harrison strich Abby mit den Fingerknöcheln über die Wange. »Wenn er ihr das wirklich gegeben hat, dann wird sie die Wirkung mit vier bis sechs Stunden Schlaf überwunden haben. Wir sagen den Sanitätern Bescheid. Und denken Sie mal nach, Mann. Chevy hatte seine Mutter gehasst, weil sie seiner kleinen Schwester weh getan hat. Es sieht mehr und mehr danach aus, dass er für Jenny eine Schwäche hatte. Er steht nicht darauf, Kindern weh zu tun. Erwachsenen Frauen dafür umso mehr.«
    Und in diesem Fall war Beth die Auserwählte.

[home]
    56
    B eth versuchte, die Geräusche auszublenden. Gellende, spitze, schmerzerfüllte Schreie. Die frühmorgendlichen Vögel und Insekten des Waldes waren beim ersten ohrenzerreißenden Aufschrei verstummt, und im Wald war es nun, passenderweise, totenstill.
    Eine langbeinige schwarze Spinne krabbelte langsam über die Bank. Beth beobachtete sie seit einer geschätzten halben Stunde auf ihrem gewundenen Weg und fragte sich dämlicherweise, ob Spinnen wohl Ohren besaßen. Das war wohl etwas, das sie einmal in der fünften Klasse gelernt hatte, wie auch die Hauptstädte sämtlicher Bundesstaaten, aber an diese konnte sie sich ebenso wenig erinnern. Ihr Herz fühlte mit dieser armen, verlorenen Kreatur, auch wenn sie nichts von der Höllenqual mitbekam, die sie umgab. Die Spinne war vermutlich auf der Suche nach ihrem Netz, das noch da gewesen war, bevor Bankes den Hochstand für seinen Showdown vorbereitet hatte.
    Er hat auch meine Welt zerstört,
dachte sie, als jemand namens Nina vor unerträglichem Grauen schrie. Beth schloss die Augen.
    Ihr Magen hatte bereits das wenige von sich gegeben, das sich darin befunden hatte, und ihr Herz schien ihr mit jedem entsetzten Schrei, der aus den kleinen Lautsprechern drang, aus der Brust zu springen. Sie versuchte, an etwas zu denken, das die Schreie in den Hintergrund treten ließ, doch ihre Gedanken kreisten unablässig um Abby.
    Nina kreischte vor Schmerz auf. Bankes saß ruhig auf der Bank wie der Besucher eines Symphonieorchesters. Als die Kassette mit einem Ruck anhielt, holte er sie heraus und legte eine neue ein. Seine Pistole lag neben seinem Oberschenkel. Auf den ersten Blick schien er nicht darauf zu achten, doch Beth würde sich hüten, danach zu greifen. Sie befand sich noch außerhalb ihrer Reichweite, sie war schwach und benommen, ihre Rippen und die Schulter taten ihr bei jedem Atemzug weh, und ihre Füße waren mit dreckigen, blutverkrusteten Scharten bedeckt. Sie ließ sich gegen eine Bank fallen und dachte, dass es nur hilfreich war, wenn er glaubte, sie könne sich nicht mehr aufrecht halten, obwohl sie sich gleichzeitig fragte, ob dem wirklich so war. Wenn der richtige Moment kam, würde sie dann körperlich stark genug sein, um die Gelegenheit zu nutzen?
    Das Geländer und die Bänke nahmen drei und ein Viertel der Seiten des Hochstands ein. Wenn
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