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Prinz-Albrecht-Straße

Prinz-Albrecht-Straße

Titel: Prinz-Albrecht-Straße
Autoren: Will Berthold
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marschierte. Er schüttelte den Kopf, verzog das Gesicht. Aber sein Lächeln wurde zur Grimasse.
    Ira, eine Frau, dachte er, so eine Dummheit! Sie muß ja reden! Wenn sie nur nichts wüßte! Wenn nur diese verfluchten Dorftrottel zehn Minuten früher gekommen wären!
    Er zwang sich zur Ruhe. Die Tür seines Zimmers stand offen. Er lauschte. Nichts zu hören. Er sah wieder auf seine Armbanduhr. Zwölf Minuten schon. Wenn Ira jetzt nicht gleich zurückkam, dann war etwas schief gegangen. Dann war es aus für alle Zeiten mit dem Job des Geheimagenten Stahmer. Vielleicht gut so, überlegte der Mann flüchtig. Der Drang, sich auszuzeichnen, die Lust, Abenteuer zu erleben, die Unfähigkeit, auf einem Bürostuhl zu sitzen, hatten ihn auf die abschüssige Bahn geführt. Er fragte sich nicht, wem er diente. Aber wohin es zwangsläufig führen mußte, erkannte er vielleicht heute zum erstenmal richtig.
    Unten kreischte eine Tür. Schritte im Gang. Sie kamen näher. Kurzer Wortwechsel in Tschechisch. Stahmer schloß lautlos seine Tür, ging ans Fenster, suchte den besten Schußwinkel. Für alle Fälle. Rücken zur Wand. Seine Hand faßte in die Tasche. Der Griff der Pistole war nicht mehr kalt, sondern feucht. Stahmer hob den Lauf, so, daß er durch den Stoff ungefähr auf das Herz des Eintretenden zielte.
    Es waren die beiden Beamten.
    »Wir wollen nur noch Ihren Paß sehen«, sagte einer von ihnen.
    Stahmer nahm sich zusammen, um sich weder Erleichterung noch Mißtrauen anmerken zu lassen. Zögernd schob sich die Hand aus der Hosentasche. Dann übergab er den Paß.
    Der erste Beamte überprüfte ihn gewissenhaft, nickte. »Alles in Ordnung«, sagte er, »entschuldigen Sie die Belästigung.«
    »Bitte«, erwiderte der Agent kalt.
    Er bemerkte, wie die beiden Ira Platz machten, die das Zimmer betrat. Sie verbeugten sich linkisch und gingen.
    »Was wollten sie wissen?« fragte Stahmer die junge Frau hastig.
    »Wie wir heißen, wo wir geboren sind, wann wir geheiratet haben …«
    »Diese Schweine«, murmelte der Agent, »und deswegen die ganze Aufregung …«
    Er überlegte, wer sie geschickt haben könnte. Vielleicht der Wirt? Oder Formis? Oder eine Routinesache der Fremdenpolizei? Wer weiß? Auch gleichgültig. In ein paar Stunden ist alles vorbei …
    »Hören Sie zu«, sagte er zu Ira, »ich gehe jetzt weg … Sie verlassen den Raum nicht, bis ich zurückkomme … klar.«
    Stahmer wartete die Reaktion der jungen Frau nicht ab.

7
    Der Agent raste mit seinem Wagen über die vereiste Straße. Jeder Bremsversuch wurde zum Wagnis, jede Kurve zur Lebensgefahr. Aber etwas saß ihm im Genick … Heydrichs kaltes, bleiches Gesicht. Die Angst vor ihm war größer als die Furcht vor dem Unfall. Die Meldung: »Es hat nicht geklappt, Gruppenführer … ich habe den zweiten Mann verpaßt«, war tödlicher als das Glatteis. Diese Vorstellung trieb ihm den Schweiß aus den Poren und den Fuß auf das Gaspedal.
    Zehn Minuten über der Zeit. Um siebzehn Uhr zehn erreichte Stahmer den Treffpunkt: einen Buchladen in der Kleinstadt mit einem unaussprechlichen Namen. Stahmer blickte durch die Scheibe. Von dem Mann war nichts zu sehen. Entweder war er gegangen oder noch nicht gekommen. Die Zeit rann wie durch eine Sanduhr. Er starrte auf die Buchtitel.
    Dann sah er den Mann mit den hängenden Armen, der so über die Straße schlenderte, als wäre er gewohnt, mit den Füßen zu treten statt zu gehen. Im Spiegelbild sah das alles noch verzerrter aus. Hier verfolgte Werner Stahmer, wie der Bursche langsam von hinten auf ihn zukam. Er erfaßte sofort: das muß er sein. Typen dieser Art kannte er. Sie gehörten zum Reichssicherheitshauptamt. Sie waren in den Verhörkellern zu Hause. Und wenn sie Karriere machten, hatten sie sich mit den Fäusten zum Tageslicht durchgeprügelt.
    Der Mann trat ganz dicht an ihn heran, musterte ihn ohne Vorsicht von der Seite. Anfänger, dachte Stahmer wütend. Dann sagte er leise: »Heimweh.«
    »Georg«, erwiderte der Mann das Kennwort.
    »Sind Sie sicher, daß Ihnen niemand folgt?« fragte Stahmer halblaut.
    »Absolut.«
    Stahmer nickte leicht mit dem Kopf. Dann gingen sie nebeneinander her. Der Komplice zog eine Hand aus der Tasche, die Knöchel waren dunkel gerötet. Der Agent spürte vom ersten Moment an, daß er Georg nicht mochte. Er war einer dieser Kerle, die man nach dem Zusammenbruch zu Hunderten hängt und, falls man es versäumt, später zu Tausenden für das alte Unrecht mit Renten ausstatten
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