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Principia

Principia

Titel: Principia
Autoren: Neal Stephenson
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oberen Teil des Moors heraus und erblickten ihn über sich. Die in seinem Windschatten zusammengedrängten Männer und Pferde ermöglichten es ihnen, Größe und Entfernung abzuschätzen: weiter weg und weiter bergauf, als sie gehofft hatten – wie bei schwer zu erreichenden Zielen üblich. Man hatte den Eindruck, trotz stundenlanger Schinderei kaum vorwärtsgekommen zu sein, doch als Daniel sich umdrehte und auf den Weg zurückblickte, den sie hinter sich gebracht hatten, waren dessen viele langgezogene Mäander, die er vordem kaum bemerkt hatte, allesamt derart komprimiert, dass sie wie die Finger zweier ineinander verschränkter Hände wirkten.
    Die Tors waren Felsnasen horizontal gelagerter Gesteinsschichten, wie sie sich nach Leibnizens Ansicht in Flussbetten bildeten. Der Wind hatte weiche Schichten weggenagt, sodass abgeflachte, zu wackeligen Stapeln aufeinandergeschichtete Gebilde entstanden waren, die sich aneinanderlehnten, um sich gegenseitig abzustützen – wie Stapel alter, abgegriffener Bücher in einer Bibliothek, aufgetürmt von einem Gelehrten, der etwas zu finden versucht. Überreste von umgestürzten Formationen waren ein ganzes Stück weit hügelabwärts verstreut und in bizarrem Winkel halb in die Erde eingesunken, wie mehrbändige, angewidert zu Boden geschleuderte Abhandlungen. Der Wind wurde nur noch stärker, während sie aufstiegen; kleine braune Vögel schlugen so kräftig sie konnten mit den Flügeln und fielen dennoch hinter diese unsichtbare Luftströmung zurück, sodass sie sich langsam rückwärts an Daniel vorbeibewegten.
    Dieser schätzte, dass etwa zweihundertfünfzig Herren dem Aufruf des Earls Folge geleistet und sich im Windschatten des Tor versammelt hatten. Doch an diesem Ort kamen einem so viele Männer wie zehntausend vor. Nur wenige hatten sich die Mühe gemacht abzusitzen. Denn was für Menschen auch immer ihre Vorfahren gewesen sein mochten, sie waren wahrhaft moderne Herren und hier ebenso fehl am Platze wie Daniel. Der Einzige, der sich offenbar wie zu Hause fühlte, war Thomas Newcomen, der Schmied, der wie ein Splitter des alten Tor wirkte, wie er so danebenstand, die breiten Schultern ein Schirm gegen den Wind, die schorfigen Hände in die Taschen gestopft. Daniel sah ihn nun als das, was er war: ein Zwerg aus irgendeiner sächsischen Ring-Sage.
    Zwischen Steinen und Wind hätten diesen Tor von Rechts wegen eigentlich die Elemente Erde und Luft beherrschen müssen, hätte er, Daniel, gefunden, wenn er dazu neigen würde, wie ein Alchimist zu denken; ihm erschien es freilich eher wie ein wässriger Ort. Der Wind sog ihm mit der Geschwindigkeit einer Schneeschmelze Wärme aus dem Körper. Die Luft hatte (verglichen mit den Miasmen der Großstadt) eine Klarheit und Sauberkeit und die Landschaft etwas Reingewaschenes, Lapidares, das ein Gefühl in ihm hervorrief, als stünde er in dem Augenblick, da im Frühjahr das Eis birst, auf dem Grunde eines klaren Flusses in New England. So war es denn Wasser; doch die Anwesenheit von Thomas Newcomen sprach auch von Feuer, denn ein Zwerg war nie sehr weit von seiner Esse entfernt.
    »Missversteht mich nicht, ich wäre den Eigentümern der Maschine zur Hebung von Wasser mittels Feuer gern zu Diensten«, hatte Daniel am zwölften Tag der Weihnachtszeit insistiert, nachdem Newcomen den Kessel angeheizt und die von ihm gebaute Maschine, saugend und zischend wie ein Drache, begonnen hatte, Wasser aus Lostwithiels Mühlenteich in eine Zisterne auf dem Dach seines Hauses zu pumpen. »Aber ich habe kein Geld.«
    »Betrachtet den Sperrhahn, mittels dessen Mr. Newcomen die Maschine zum Leben erweckt«, hatte der Earl gesagt und auf ein handgeschmiedetes Ventilrad gedeutet, das auf ein Rohr montiert war. »Erzeugt dieser Sperrhahn Dampf?«
    »Natürlich nicht. Der Dampf wird im Kessel erzeugt.«
    »Der Handel dieses Landes ist ein Kessel, der sämtlichen Dampf – will sagen, sämtliches Kapital – erzeugt, das wir brauchen. Was uns fehlt, ist ein Ventil«, hatte der Earl gesagt, »das heißt ein Mittel, einiges von diesem Kapital in eine Maschine zu leiten, wo es etwas Nützliches bewirkt.«
     
     
    Das Durcheinander abgeworfener Brocken bot natürliche Bänke, Podien, Kanzeln und Balkone, die den Zinnleuten ebenso gute Dienste leisteten wie die gleichen Einrichtungen in einem regelrechten Versammlungssaal. Dort wurde, wie schon seit einem halben Jahrtausend, durch Verlesung bestimmter Dekrete König Edwards I. der Rat der Zinngräber
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