PR TB 214 Kosmischer Grenzfall
Vespaern kommen sie noch nicht
so zum Tragen wie bei den Arten eines höheren
Entwicklungsstadiums. Aber die Angelegenheit ist viel diffiziler. Ein
gewisses Talent ist in allen Grenzern latent vorhanden, doch kommt es
erst in bestimmten Situationen zum Durchbruch. Ihr dürft mich
nicht als Maßstab nehmen
- ich bin ein Sonderfall! Ich darf sogar guten Gewissens
behaupten, daß ich der
einzige Lucanaer mit so ausgeprägtem ESP bin. Sprechen wir
also nicht von mir, sondern von den Grenzern im allgemeinen."
Wir hatten einige hundert Meter zurückgelegt, als wir auf die
ersten Lamaroner trafen. Es handelte sich durchwegs um Vespaer und
Gryllaer. Aber sie sahen etwas anders aus als jene, die uns im Lager
aufgesucht hatten.
Im ersten Augenblick wußte ich nicht, worin sie sich
unterschieden, doch dann bemerkte ich, daß die gestreiften
Leiber der Vespaer dicker waren. Sie wirkten insgesamt voluminöser,
wie aufgedunsen.
“Sind das trächtige Weibchen?" platzte ich heraus.
“Keineswegs", antwortete Omani leicht belustigt.
“Dann handelt es sich vielleicht um Mutationen?"
vermutete Pilgram. “Ich sehe, daß alle Vespaer
Verformungen der Chitinpanzer aufweisen, Wucherungen geradezu. Es
sieht aus, als litten sie unter einer Zellexplosion, die ihr Wachstum
unkontrollierbar macht. Was meinen Sie dazu, Walty?"
“Ich möchte mich noch nicht äußern",
sagte Walty abwesend. “Aber ich glaube nicht, daß es sich
um Mutationen handelt. Die Verformungen scheinen mir eher ein
natürlicher Vorgang in der Entwicklung der Vespaer zu sein."
“Aber sehen Sie doch!" rief Pilgram und deutete auf
eine Gruppe von dickleibigen Gryllaern, die schwer an ihren
Chitinpanzern zu tragen hatten. Ihre ursprüngliche Gestalt war
unter den Verwachsungen kaum mehr zu erkennen. Sie bewegten sich
schwerfällig und lethargisch. “Auch der Grenzer-Typ der
zweiten Art ist davon betroffen. Diese armen Wesen scheinen schwer
unter den körperlichen Veränderungen zu leiden. Omani, sage
du uns, ob diese bedauernswerten Geschöpfe von einer Krankheit
befallen sind."
“Leben ist leiden", sagte der Lucaner nur.
“Mir wird nun einiges klar", behauptete Pilgram. “Auch
wenn du es nicht zugeben willst, Omani, aus welchen Gründen auch
immer, so kann es nur so sein, daß ihr Grenzer von irgendeiner
Seuche heimgesucht werdet, die eure Völker dahinrafft. Ist es
tabu für dich, darüber zu sprechen?"
Omani sagte nichts dazu, und Pilgram hielt sein Schweigen für
eine Bestätigung seiner Vermutungen. Aufgeregt fuhr er fort:
“Das ist also euer Problem. Ihr steckt eure Kranken in ein
Reservat, weil ihr euch ihrer schämt. Aber anstatt sie dem
Siechtum zu überlassen, solltet ihr besser versuchen, die Seuche
zu bekämpfen, bevor sie euch alle dahingerafft hat. Wenn ihr
selbst nicht in der Lage seid, wirksame Gegenmittel zu finden, dann
übertragt uns diese Aufgabe. Wir Freihändler können
euch wirksame Medikamente liefern. Und wenn es solche noch nicht
gibt, dann werden wir sie entwickeln. Ist es das, was ihr von uns
erwartet, was ihr aber bis jetzt noch nicht auszusprechen wagtet?"
Pilgram hatte immer schneller gesprochen, bis sich seine Stimme vor
Aufregung
überschlug. Er war so von dem überzeugt, was er sagte,
daß er alle anderen Möglichkeiten außer acht ließ.
Er sah wohl schon im Geiste die Ärzteteams und Pharmakologen,
die er in Richtung Lamarone in Bewegung setzte und damit ein ganzes
Volk vor dem Untergang rettete. Doch obwohl Pilgrams Interpretation
gar nicht so abwegig klang, konnte ich mich nicht damit befreunden.
Und wenn es allein aus dem Grund war, daß ich ihm einen solchen
Triumph mißgönnte.
“Los, Omani, gib schon zu, daß du von uns ärtzliche
Hilfe im Austausch gegen die Schürfrechte erwartest", sagte
Pilgram drängend. “Was zögerst du noch, nachdem wir
euer Problem erkannt haben. Wer rasch hilft, hilft doppelt."
“Lassen wir dieses Thema, bevor du dich noch weiter auf
Irrwege begibst", meinte Omani. “Ich kann dazu nur sagen,
daß wir gar nicht gegen diese Entwicklung ankämpfen
wollen. Erkenne doch, daß dies ein natürlicher Prozeß
ist!"
“Pah!" machte Pilgram, der nicht gewillt war, seinen
Irrtum einzusehen. “Du würdest aus falscher Scham die
Wahrheit nie zugeben und dein Volk lieber in den Untergang gehen
lassen.",
“Du sagst es selbst, Pilgram, daß wir ein Volk sind",
erwiderte Omani, und diese Äußerung begann mich sehr
nachdenklich zu stimmen. Aber ich konnte den Gedanken nicht
weiterspinnen, weil
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