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Post von Madelaine

Post von Madelaine

Titel: Post von Madelaine
Autoren: Susanna Ernst
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energisch, das fiel sogar dem Mann auf, der erst zwei Monate zuvor die Leitung des Kinderheims übernommen hatte.
»Wie sollen sie mich denn finden, wenn ich bei anderen Leuten lebe?«, schluchzte Maddie. Monsieur Perelle traute seinen Ohren nicht. Konnte es tatsächlich sein, dass sie noch hoffte? ... Nein!
Sie musste doch wissen, dass das unmöglich war. Madelaine war kurz nach ihrer Geburt vor dem Kloster abgelegt worden, so stand es in ihrer Akte. In einem simplen Weidenkorb.
»Kind«, begann er in seiner sanftesten Stimme. Sie sah zu ihm auf, und dieser Blick aus großen, blauen Augen, die nun in Tränen schwammen, durchbohrte sein Herz.
»Bitte, geben Sie mir noch etwas Zeit!«, flüsterte Maddie. Sie wusste, dass es nahezu aussichtslos war, noch gefunden zu werden, wenn man erst einmal in einer neuen Familie untergekommen war. Die Adressen wurden nie weitergegeben.
Monsieur Perelle atmete tief durch ... und nickte. »Ich werde die Moutons anrufen und auf Anfang Oktober vertrösten, Madelaine. Anfang Oktober. Und jetzt geh und hilf Schwester Cecile bei den Vorbereitungen zum Abendessen.«
    ***
    Dreizehn Tage später, siebenundachtzig Kilometer nordwestlich, stand der Müller Bartand fluchend vor seinem alten Wasserrad. Wieder war der Strom so schwach, dass sich die Blätter nur noch langsam und kraftlos drehten. Der Sturm der vergangenen Tage hatte einiges an Treibholz angespült und die Siebe wohl ein weiteres Mal verstopft. Mürrisch zog Bartand seine Gummistiefel an und machte sich auf den Weg flussaufwärts. Gewissenhaft überprüfte er ein Gitter nach dem anderen.
Er entfernte Blätter und Stöcke, einen Wollhandschuh, eine Glasflasche und einen Strohhut. Sogar eine tote Ratte musste er entfernen. Er warf sie, zusammen mit dem übrigen Unrat, auf seine Schubkarre und stapfte zurück zu seiner Mühle.
Antoine, sein vierter Sohn und der faulste von allen, lümmelte noch immer auf dem Hof herum, anstatt sich, wie seine Geschwister, auf dem Schulweg zu befinden.
Bartand tobte und drohte dem Jungen mit Prügel. In seiner Wut ergriff er die Glasflasche von der Schubkarre und warf sie nach seinem Sohn. Sie zerschellte nur wenige Meter hinter dem Bengel, der trotzdem noch die Dreistigkeit besaß, sich umzudrehen und genau zu inspizieren, was sein Vater nach ihm geworfen hatte.
Was er sah, weckte seine Neugierde, und Antoine konnte nicht anders, als einige Schritte zurückzulaufen und sich zu bücken, um das zusammengerollte Papier an sich zu nehmen, das wohl Inhalt der Flasche gewesen sein musste.
Eine echte Flaschenpost, durchzuckte es ihn freudig. Schnell lief er fort und entwischte seinem aufgebrachten Vater nur um Haaresbreite.
Als er sich in Sicherheit wähnte, machte er es sich im Schatten einer alten Eiche bequem und widmete sich ganz seinem Fund. Doch das Schriftstück war wesentlich langweiliger als erhofft. Es handelte sich keineswegs um die Schatzkarte eines alten Piraten, sondern um einen simplen Brief eines fremden Mädchens. Antoine las ihn nicht einmal. Enttäuscht betrachtete er die kleine Lichtbildaufnahme und ließ den Brief dann - als ihm einfiel, wie sein strenger Klassenlehrer auf Verspätungen reagierte - achtlos ins hohe Gras fallen.
Der Wind kam und trug Maddies Botschaft weiter, der Regen verschonte ihre in Tinte geschriebenen Worte, und auch die Sonne hielt sich zurück, um sie nicht zu sehr auszubleichen - so könnte man meinen.
Als Monsieur Delacroix neun Tage später, auf seiner Reise nach Paris, anhielt, um am Rand der einsamen Landstraße Wasser zu lassen, fiel sein Blick in das hohe Gras vor ihm. Er kniff die Augen zusammen, denn auf die Ferne sah er nicht mehr so gut. Das brachte seine Arbeit mit sich, dieses ewige Schreiben. Doch er war sich sicher, in dem sich wiegenden Grün etwas Helles gesehen zu haben. Aus einem inneren Impuls heraus bückte er sich, fuhr mit der Hand über das Gras und wurde schnell fündig. Ein Blatt Papier - knittrig zwar und mit einigen Wasserflecken übersät, ansonsten jedoch unbeschädigt - steckte aufrecht zwischen den langen Halmen.
Delacroix nahm es an sich und überflog die ersten Zeilen. Es war der verzweifelte Brief eines Mädchens. Delacroix las immer weiter, und die Welt um ihn herum versank mit jedem Wort ein wenig mehr. Als er zu Ende gelesen hatte, setzte er sich entschlossen in seinen Wagen und brauste in vollem Tempo der Hauptstadt entgegen.
    ***
    In den vergangenen Tagen hatte der Wind stetig zugenommen. Für Ende September peitschte er
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