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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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aufrechtzuerhalten und war doch abgelenkt. Was hieß eigentlich Pensum? Diese Regina war ihr ähnlich gewesen. Sie half doch auch beim Bruder im Stall mit, ging ins Holz, hatte unmögliche Arbeitszeiten und chronisch zu wenig Schlaf. Privatleben? Sie musste doch schon nachschlagen, wie man das Wort überhaupt schrieb. Es gab sicher Berufe, in denen man morgens um zehn in Deutschland sein Frühstückchen einnahm, um zwölf Mahlzeit wünschte, um vier Schluss machte, den PC herunterfuhr, die Tastatur zurechtrückte und dann einfach wegdenken konnte. Es gab Tätigkeiten, bei denen man bis zum nächsten Morgen keine Millisekunde mehr über das, was man gemeinhin Arbeit nannte, nachdenken musste. Doch bei ihr verwischte sich alles, ihre Gedanken waren nie frei.
    Inzwischen tauchten erste Eltern auf, die ihre Kinder abholen wollten. Eine Mutter kreischte: »Wie können Sie das meinem Kind antun?«, worauf die Psychologin ganz ruhig erwiderte: »Ihr Kind lebt aber und ist putzmunter.« Sie nickte dem Mädchen zu. »Auf Wiedersehen, Valerie, und ich glaube, deine Mama brüllt in Zukunft nicht immer gleich so rum, wie du mir gesagt hast.« Dann schenkte sie der Frau noch ein freundliches Lächeln und ging in die Küche.
    Kathi entfuhr ein Glucksen, und Irmi musste sich das Grinsen verbergen. So ohne war diese Seelenklempnerin ja gar nicht. Irmi folgte ihr in die Küche des Seminarhauses, wo Robbie auf einem alten Holzstuhl zusammengesackt war. Leise wandte sie sich an die Psychologin und bat sie, Robbie zu befragen.
    Robbie sprach sehr unartikuliert, er weinte immer wieder, es musste neuer Pudding herangeschafft werden. Am Ende war klar, dass Gina ihn ins Bett gebracht hatte und gesagt hatte, sie wolle noch einmal rausgehen, um nach den Tieren zu sehen. Dass er aber beruhigt schlafen könne, da sie gleich wieder zurückkomme und nebenan im Büro sei, wo sie immer alles aufgeschrieben habe. »Gina hat doch immer alles aufgeschrieben«, wiederholte er unentwegt.
    »Weißt was, Robbie, jetzt gehen wir mal zu Arthur. Der hat ja immer noch nichts zu essen bekommen«, sagte Veit Bartholomä in die Stille und sah Irmi fragend an. Sie nickte unmerklich, es war sicher gut, Robbie jetzt abzulenken. Auch die Psychologin nickte, und als die beiden weg waren, sagte sie: »Wenn Sie mich brauchen, Frau Mangold, gerne! Frau Bartholomä, Sie können sich auch gerne melden, ich lass Ihnen meine Karte da. Aber Ihr Mann macht das ganz richtig, ablenken, die üblichen Rituale einhalten, Halt geben und Struktur.« Sie hob die Hand zum Gruß und ging davon.
    Irmi folgte ihr hinaus ins Freie, wo die Sonne wieder aufgetaucht war. Lohengrin kam ihr entgegen. Mit dem Schwanz wedelte der halbe Hund, und sein Dackelblick war noch dackliger. Es versetzte ihr einen Stich. Seit ihre Hündin Wally tot war, lebte sie allein unter Katern. Wie wäre es mit so einem Hund …?
    Von Lohengrin verfolgt, ging Irmi wieder zurück in die Küche, wo sich der Hund augenblicklich in einem Körbchen verkroch. Helga Bartholomä sah unendlich müde aus. Ihre Falten hatten sich tief eingegraben, ihre Gesichtsfarbe war fahl.
    »Frau Bartholomä, jetzt setzen Sie sich aber auch mal!« Irmi drückte die Frau regelrecht auf den Stuhl, auf dem Robbie gesessen hatte, schenkte an der Spüle ein Glas Wasser ein und drückte es der Frau in die Hand. Sie wartete, bis die Haushälterin ein paar Schlucke getrunken hatte. »Wie lange arbeiten Sie beide denn schon bei den von Brauns?«
    Ein seltsam wehmütiges Lächeln umspielte die Lippen von Helga Bartholomä. »Lange, viel länger, als man denkt.«
    Irmi war ein wenig irritiert von dieser kryptischen Antwort. »Geht das etwas genauer?«
    »Ich seit siebenundfünfzig Jahren. Veit seit fünfundfünfzig. Ich war achtzehn, als ich bei Hieronymus von Braun in den Dienst eintrat. Zwei Jahre später kam Veit als Forstwirt, während ich als Mädchen für alles da war. Ich habe auch lange die Buchhaltung gemacht. Eigentlich immer. Ich liebe Zahlen. Die letzten Jahre nicht mehr, Regina hat einen Steuerberater, der das übernommen hat. 1974 ist die arme Margarethe gestorben, der Gutsherr erst 2010. Regina wollte, dass wir bleiben. Also sind wir geblieben, vor allem wegen Robbie.«
    »Nicht wegen Regina?«, fragte Irmi etwas überrascht.
    »Sie ist gesund. Und stark. Und dickköpfig. Sie braucht zwei alte Zausel wie uns eigentlich nicht. Wir hätten leicht in ein Altersheim gehen können. Auf ein Abstellgleis, wo solche wie wir auch
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