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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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bringen. Seine Ansichten stimmten nicht mit denen des Hausfreundes überein, und er hatte sich bei einer Unterhaltung über politische Angelegenheiten noch besonders über ihn geärgert. Der alte Herr ging so weit, seinem Neffen zu sagen, er müsse ihn vor die Wahl stellen, entweder sein Erbe zu bleiben oder den ungezogenen jungen Mann fortzuschicken. Da sagte der ehrenwerte Geschäftsmann – der Gatte war nämlich Börsenagent – zu seinem Onkel:
    »Ah! niemals werden Sie, lieber Onkel, mich dahin bringen, gegen die Pflichten der Dankbarkeit zu verstoßen! Der junge Mann würde sich ja für Sie totschlagen lassen, wenn ich es ihm sagte! Er hat mir meinen Kredit gerettet, er würde für mich durchs Feuer gehen, er nimmt mir alle Unbequemlichkeiten ab, die mir meine Frau machen könnte, er führt mir Kunden zu, er hat mir beinahe den ganzen Gewinn verschafft, den ich bei der Villeleschen Anleihe gemacht habe ... er hat mir das Leben gerettet ... er ist der Vater meiner Kinder ... so etwas läßt sich nicht vergessen!«
    Alle von uns bisher aufgeführten Entschädigungen können für vollständig gelten. Leider gibt es aber Entschädigungen aller Art: negative, trügerische und endlich auch solche, die negativ und trügerisch zugleich sind.
    Ich kenne einen alten Ehemann, der vom Spielteufel besessen ist. Fast jeden Abend kommt der Liebhaber seiner Frau und spielt mit ihm. Der Junggeselle gönnt ihm verschwenderisch alle Genüsse, die die Ungewißheiten und Wechselfälle des Spieles dem Spieler verschaffen, und weiß regelmäßig jeden Monat etwa hundert Franken zu verlieren. Aber Madame gibt sie ihm. Diese Entschädigung ist trügerisch.
    Du bist Pair von Frankreich und hast immer nur Mädchen bekommen. Deine Frau bringt einen Jungen zur Welt! Diese Entschädigung ist negativ.
    Das Kind, das deinen Namen vor der Vergessenheit bewahrt, sieht der Mutter ähnlich. Die Frau Herzogin redet dir ein, das Kind sei von dir. Die negative Entschädigung wird zu einer trügerischen.
    Eine der entzückendsten Entschädigungen, die bekannt geworden sind, ist die folgende:
    Eines Morgens begegnet der Fürst von Ligne dem Liebhaber seiner Frau, eilt auf ihn zu, lacht wie ein Besessener und ruft:
    »Mein Lieber, heute nacht habe ich dich zum Hahnrei gemacht!«
    Wenn so viele Ehemänner ganz sachte, sachte zum ehelichen Frieden gelangen und so willig die imaginären Kennzeichen der weiblichen Oberherrschaft tragen, so bestärkt sie ohne Zweifel in ihrer Philosophie der ›Komfortabilismus‹ gewisser Entschädigungen, von denen müßige Beobachter nichts ahnen können.
    Einige Jahren verstreichen, und die beiden Gatten erreichen das letzte Stadium des unnatürlichen Daseins, zu welchem sie sich verdammt haben, als sie ihren Bund schlossen.

Der eheliche Friede
    Mein Geist hat mit so brüderlichem Interesse die Ehe durch alle Wandlungen ihres phantastischen Lebens begleitet, daß ich mir vorkomme, als sei ich mit dem jungen Ehepaar, dem ich mich zu Beginn dieses Buches anschloß, zusammen alt geworden.
    Nachdem ich in Gedanken den stürmischen Drang der ersten menschlichen Leidenschaften durchgemacht, nachdem ich die Hauptereignisse des Ehelebens in flüchtigen Umrissen und vielleicht mit unvollkommener Zeichenkunst hingeworfen, nachdem ich mich mit so vielen Frauen herumgeschlagen habe, die mir nicht angehörten, nachdem ich so viele Charaktere bekämpft, die ich aus dem Nichts hervorrief, nachdem ich so viele Schlachten mitgemacht habe – empfinde ich eine geistige Mattigkeit, die wie ein dunkler Krepp alle Dinge des menschlichen Lebens bedeckt. Mir ist, als hätte ich einen Katarrh, als trüge ich eine grüne Brille, als zitterten meine Hände, als würde ich die zweite Hälfte meines Lebens und meines Buches damit ausfüllen, die Ausgelassenheiten der ersten Hälfte zu entschuldigen.
    Ich sehe mich im Geiste von großen Kindern umgeben, die nicht die meinigen sind; ich sitze neben einer Frau, die ich nicht geheiratet habe. Ich fühle, daß meine Stirn dicht von Runzeln bedeckt ist. Ich sitze vor einem Kamin, dessen Feuer Funken sprüht, wie wenn es mich ärgern wollte und doch sitze ich in einem altmodischen Zimmer. – Und als ich meine Hand auf mein Herz lege, da durchfährt mich ein Gefühl des Erschreckens; denn ich frage mich: »Ist's denn wirklich verwelkt?«
    Wie wenn ich ein alter Sachwalter wäre, macht kein Gefühl mehr Eindruck auf mich, und eine Tatsache erkenne ich nur an, wenn sie, wie es in Lord Byrons Vers heißt,
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