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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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ihr ganz persönlicher Triumph.
    Kurz nach der Bekehrung gibt es eine von Mutter und Sohn gemeinsam erlebte mystische Vereinigungsszene mit Gott. Ganz in der
     neuplatonischen Tradition erfahren Mutter und Sohn einen gemeinsamen inneren Aufstieg von der Anschauung materieller Dinge
     zum reinen geistigen Sein, zur ewigen Weisheit. Dieser Prozess kulminiert in einer Art Seelenvereinigung, deren Schilderung
     bei Augustinus nicht ohne erotische Nebentöne ist: »Und da wir von ihr sprachen und nach ihr seufzten, berührten wir sie mit
     vollem Schlage unseres Herzens ein kleines wenig, atmeten tief auf und ließen dort angeheftet ›die Erstlinge unseres Geistes‹.«
     Die Wendung »Erstlinge unseres Geistes« ist ein Bibelzitat, das hier aber neuplatonisch gedeutet wird: Mutter und Sohn erreichen
     für einen Augenblick den Zustand der vollkommenen Harmonie mit dem Einen, das heißt mit Gott.
    |33| Die Geschichte der Bekehrung des Augustinus in den
Bekenntnissen
ist auch die Geschichte einer versuchten und schließlich gescheiterten Loslösung von seiner Mutter Monnica. Im Buch selbst
     wird diese bereits wie eine Heilige stilisiert. Als heiliger Augustinus und heilige Monnica gingen beide gemeinsam in die
     Schar der von der Kirche Auserwählten ein.
    Auch die Schilderung seiner Bekehrung in der berühmten Mailänder Gartenszene des achten Kapitels trägt deutliche Züge einer
     kunstvollen literarischen Stilisierung. Sie ist der erzählerische Höhepunkt des Buchs, eine dramatische Szene, bei der Augustinus
     alle rhetorischen Register zieht und mit der er den Wendepunkt seines Lebens und die Gnadenwahl dem Leser eindringlich zu
     machen versucht. Augustinus schildert, wie ihn beim Nachdenken über seine Situation ein »innerer Sturm« ergriff, er sich unter
     Tränen unter einen Feigenbaum warf und Gott um Beendigung seines innerlich zerrissenen Zustandes bat. Darauf hörte er aus
     dem Nachbarhaus eine Kinderstimme »tolle lege« (»nimm und lies«) sagen, woraufhin er das Neue Testament aufschlug und die
     Worte im Römerbrief des Paulus las, mit denen dieser die Menschen auffordert, ihr Leben »nicht in Fressen und Saufen, nicht
     in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid« zu verbringen, sondern sich stattdessen dem Herrn Jesus Christus zuzuwenden.
     Dies war der endgültige Anstoß für Augustinus, seinen weltlichen Lebenswandel aufzugeben und sich zum Christentum zu bekennen.
    Nach der Schilderung der Bekehrung ändert das Buch sein Gesicht. An die Stelle einer biografisch orientierten Erörterung tritt
     eine subtile rationale Argumentation. Augustinus setzt sich nun, zum Teil Wort für Wort, mit der Schöpfungsgeschichte des
     Alten Testaments auseinander. Vor allem in diesem letzten Teil erhält der Dialog zwischen Augustinus und Gott einen ausgesprochen
     philosophischen und intellektuellen Charakter. Es ist allerdings ein einseitiger Dialog, bei dem der eine Gesprächspartner,
     Augustinus, bohrende Fragen stellt und der andere, Gott, nie direkt antwortet, sondern quasi überlegen lächelnd mit dem Finger
     auf die heiligen Schriften und die Schöpfung weist.
    |34| Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Buches, dass es Intellektualität und Bildung gegenüber dem Glauben an und dem Vertrauen
     in Gott herabsetzt, gleichzeitig aber diese Intellektualität und Bildung in der Argumentation demonstriert. Stolz, Wollust
     und Wissbegierde: Dies sind für Augustinus die drei großen Feinde des Glaubens. Sie sind aber auch genau die Leidenschaften,
     die sein eigenes Leben beherrscht haben. Wissbegierde und bohrendes Fragen prägen die
Bekenntnisse
vom ersten Kapitel an, das mit einer Anrufung Gottes beginnt. Doch schon wenig später wird auch dieser Akt des Anrufens selbst
     in Frage gestellt: »Aber wie soll ich meinen Gott anrufen, meinen Gott und Herrn, da ich ihn doch herein zu mir rufen muss,
     wenn ich zu ihm rufe? Wo ist der Raum in mir, wohin zu mir käme mein Gott?«
    Das gesamte Buch hindurch ist sich Augustinus bewusst, dass er es mit einem rational nicht erkennbaren Gott zu tun hat. Gott
     ist für ihn das »ganz Andere«, vor dem die menschliche Vernunft Demut üben muss. Dennoch hört er nicht auf, von diesem Gott
     rationale Antworten zu verlangen. Die Probleme eines persönlichen Gottes, der Schöpfung in oder außerhalb der Zeit, die Erschaffung
     des leiblichen Menschen als Ebenbild Gottes – all dies sind Zumutungen für den Intellektuellen Augustinus, auch nach seiner
    
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