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Philosophenportal

Titel: Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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Bekehrung. »Ich glaube deinen heiligen Büchern«, so ruft er im zwölften Kapitel aus, »aber ihre Worte sind sehr geheimnisvoll.«
     Obwohl sich Augustinus in zahlreichen »Bekenntnissen« der Weisheit Gottes beugt, hat der Leser das Gefühl, dass er nie aufhören
     wird, seinen Glauben dem Prüfstand rationaler Fragen auszusetzen.
    Genau dieses kritische, bohrende Fragen, dieses Sich-nicht-zufrieden-Geben hat aber immer auch den philosophischen Reiz der
Bekenntnisse
ausgemacht. Besonders einflussreich war in dieser Hinsicht stets das elfte Kapitel des Buches, in dem Augustinus sich mit
     dem Wesen der Zeit beschäftigt. Er tut dies in Form einer Introspektion, das heißt einer Analyse der Vorgänge, die in unserem
     Inneren ablaufen, wenn wir Zeit erfahren. Am Ende des 19.   Jahrhunderts und zu Beginn des 20.   Jahrhunderts haben Philosophen wie Henri Bergson, Edmund Husserl und Martin Heidegger die Zeit als wesentliches |35| Merkmal der menschlichen Existenz herausgearbeitet und ihre subjektiven und psychologischen Komponenten untersucht. Dabei
     beriefen sie sich ausdrücklich auf das elfte Kapitel der
Bekenntnisse.
    Ob Augustinus die Zeit wirklich als etwas »Subjektives« begriffen hat, ist sehr umstritten. Sein Ausgangspunkt ist zunächst
     theologisch, nämlich die Frage, ob es eine Zeit vor Erschaffung der Welt gegeben habe und in welchem Verhältnis Zeit und Ewigkeit
     zueinander stehen. Die Zeit ist für Augustinus Ergebnis der Schöpfung. Gott selbst ist ihr nicht unterworfen. Sie ist aber
     auch kein Gegenstand oder Zustand, auf den wir verweisen können: Die Vergangenheit war einmal, aber sie ist nicht mehr; die
     Zukunft ist noch nicht, und auch die Gegenwart entgleitet unserer äußeren Wahrnehmung: Sie ist, streng genommen, nicht dieser
     Tag oder diese Stunde oder Minute, sondern ein Augenblick, den wir nicht fassen können. Dass wir Zeit überhaupt erfahren können,
     hängt mit der Erinnerung zusammen, einer inneren Fähigkeit, die es uns erlaubt, Zustände und Zeiträume festzuhalten und zu
     messen. Augustinus behauptet nicht, dass die Zeit selbst etwas Subjektives ist, sondern dass sie in einer ganz anderen Art
     erfahren wird als »normale« Dinge der Welt.
     
    Die
Bekenntnisse
wurden das bekannteste Werk des Augustinus und zugleich eines der meist gelesenen Bücher der Philosophiegeschichte. Es ist
     ein einzigartiges Buch: Autobiografie, Bekenntnisbuch, theologischer Traktat und philosophische Analyse zugleich. Es war höchst
     ungewöhnlich, dass im Mittelpunkt eines philosophischen Buchs nicht der Mensch im Allgemeinen und die ewigen Gesetze der Vernunft,
     sondern ein einzelner Mensch mit einer ganz besonderen Lebensgeschichte steht, der sich an einen persönlichen Gott wendet,
     eine Gottesvorstellung, die den antiken Philosophen noch fremd war. Augustinus wertet damit die Subjektivität, die individuelle
     Persönlichkeit des Menschen auf.
    Die mystischen und nichtrationalen Seiten seines Gottesbegriffs haben die Philosophie des gesamten frühen Mittelalters bestimmt.
     Seine Gnadenlehre, aber auch seine Art, mit Gott in ein persönliches |36| Gespräch zu treten, haben wiederum auf Martin Luther und auf die protestantische Theologie gewirkt. Vor allem aber demonstrieren
     die
Bekenntnisse
eine sehr persönliche, »existenzielle« Art, Philosophie zu treiben. Philosophische Fragen werden als unmittelbare Lebensfragen
     begriffen und die Erfahrungen der eigenen Person zum Ausgangspunkt genommen. Dies haben im 17.   Jahrhundert die französischen Philosophen Michel de Montaigne, René Descartes und Blaise Pascal ebenso aufgenommen wie im
     19.   Jahrhundert Sören Kierkegaard und die von ihm beeinflusste, im 20.   Jahrhundert entstandene Existenzphilosophie.
    Ganz am Anfang der
Bekenntnisse
formuliert Augustinus den an Gott gerichteten, berühmten Satz: »Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir.« Die Art des
     Augustinus, dem Glauben mit unablässigem Fragen zu begegnen, hat die intellektuelle Unruhe in die Philosophie getragen und
     sie damit bis heute befruchtet. Die
Bekennntisse
zeigen wie kein anderes Buch ihren Autor als einen der großen Unruhestifter der europäischen Geistesgeschichte.
     
    Ausgaben:
    AURELIUS AUGUSTINUS: Bekenntnisse. Mit einer Einleitung von K.   Flasch. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen und herausgegeben von K.   Flasch und B.   Mojsich. Suttgart: Reclam 1989.
    AURELIUS AUGUSTINUS: Bekenntnisse. Übersetzt von W.   Thimme. München: dtv
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