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Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg

Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg

Titel: Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
Autoren: Residenz , Claudio Honsal
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lang spiele.
    Der Blick vom 767 Meter hohen Monte Busca ist beeindruckend. Zwei Stunden sind wir unterwegs, und die Grünschattierungen der Sträucher, Bäume und Blumen nehmen kein Ende. Die Grenzen zwischen Romagna und Toscana beginnen sich zu verwischen. Nur geografisch gesehen werden wir demnächst die Pforte zu einer der wichtigsten und schönsten Tourismusregionen Italiens durchschreiten. Gottlob auf einer Route, die nicht von Bussen und Tausenden Individualtouristen befahren wird. Niemand kreuzt unseren Weg. Vorbei an einem kleinen Bauernhof, der als Nebenerwerbspension ausgebaut ist. In der Ferne eine Lichtung, die langgezogen bergab führt und uns direkt in die Arme eines völlig aufgelösten, deutschen Wanderers treibt. „Vorsicht mit dem Hund, dass er Ihnen nicht wegläuft!“ Warum sollte ich weg- und gar laufen? Immerhin sind wir seit Stunden unterwegs. Die Erklärung folgt sogleich: „Ich habe da oben an der Lichtung im Wald eine ganze Gruppe Wildschweine gesehen. Also Vorsicht, die sehen gefährlich aus!“ Ja, wir dürften uns wirklich der Toskana nähern. In den Gaststätten zwischen Firenze und Montepulciano wird es demnächst wieder Wildschwein in allen Variationen geben.
Cinghiale con funghi e polenta, Cinghiale alla Cacciatora
, etc., etc. Mich stört das nicht, etwas Wildschwein brächte schon Abwechslung in den Dosen- und Trockenfutteralltag. Der Hinweis auf die streunenden Wildschweine hatte mich nicht sonderlich beindruckt. Weit und breit war auch keine entsprechende Witterung aufzunehmen. Vielleicht ein Irrtum, oder der deutsche Touri hatte die eben passierten, sehr dunklen Kühe mit Wildschweinen verwechselt. Ein Stadtmensch eben. Doch dann, genau an der beschriebenen Stelle auf der Lichtung im Wald, machten wir eine tierische Entdeckung der anderen Art. Zwar soll es in dieser weitläufigen Region, die 1989 zum Nationalpark Foreste Casentinesi erklärt wurde, eine überreiche Fauna mit jeder Menge Hirsche, Hasen, sogar Wölfe und Wildschweine geben, aber plötzlich meinten wir, eine Vision vor Augen zu haben: Mit aufgeplustertem Gefieder und aufgeregtem Geschrei kam uns drohend eine ganze Straußengroßfamilie entgegen. Die entsprechende Farm mitten in der Einöde, damit hätte hier wohl niemand gerechnet. Auf Sensationsfotos mit den furchterregenden Laufvögeln haben wir verzichtet. Da schon eher die Gruppe von friedfertigen Eseln, die nebenan auf einer Koppel den Schatten der Bäume suchte. Nur von den besagten Wildschweinen weit und breit keine Spur.
    Beinahe Halbzeit der heutigen Etappe. Zehn Kilometer haben wir hinter uns. Von der Anhöhe aus ist schon das Mittagsziel unten in einer Talsohle auszumachen. Wie eine Steinburg inmitten der grünen Wälder taucht das mittelalterliche Dörfchen Portico di Romagna auf. Vier gewaltige Wachtürme begrenzen die Befestigungsanlage, und der Palazzo Portinari, von dem erzählt wird, dass sich dort Beatrice Pontinari und Dante Alighieri äußerst innig begegnet seien, beherrscht das Ortsbild. Es ist Sonntag. Die kleinen, gepflasterten Gassen strahlen nicht nur Mittagswärme, sondern auch feiertägliche Ruhe und Beschaulichkeit aus. Der antike Geist längst vergangener Tage ist immer noch allgegenwärtig. Für meine Begleiter Zeit, eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen. Ideales Timing, denn gerade hier soll sich laut Pilgerberichten eine Gaststätte befinden, die es besonders gut meint mit Gotteswanderern. Mitten im
centro storico
werden wir fündig. Al Vecchio Convento liegt direkt gegenüber dem antiken Rathaus neben einer Kirche, dem einstigen Konvent. Ristorante, Albergo und Sehenswürdigkeit zugleich – von Gastrokritikern mit drei Sternen prämiert. Teuer sieht’s hier aus, exklusiv. Im schattigen Schanigarten vor dem Restaurant werden die Rucksäcke schnell ins Eck verbannt. Natürlich identifiziert man uns als Pilger unter all den feinen Gästen, die der exzellenten Küche wegen auch aus entfernteren Städten zum Sonntagsbrunch angereist sind. Neben uns braun gebrannte, gestylte Biker, vor dem Eingang eine ausgelassene Hochzeitsgesellschaft. Mein Herrchen wirft vorsichtig einen Blick in die in feines Leder gebundene Speisekarte. Ist wohl nichts für arme, enthaltsame Pilger? Seine Augen funkeln. Sollte man sich das karge Pilgerdasein nicht doch ab und zu etwas versüßen? Sich für die Strapazen der Wanderschaft ein klein wenig belohnen? Eine Frage, die sich augenblicklich erübrigte, denn schon stürmt die Chefin des Hauses auf uns zu.
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