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Paula geht

Paula geht

Titel: Paula geht
Autoren: Martina Nohl
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Schweigend verspeisten sie die riesigen Stücke.
    „Ich denke, du solltest ihn in Ruhe lassen“, sagte Annemarie schließlich.
    „Das genau fällt mir ja gerade so schwer.“
    „Aber für ihn ist es jetzt das Wichtigste, dass er seine Angelegenheiten klärt.“
    „Ach herrje, die Dinge sind nicht immer alle geklärt, bevor was Neues anfängt, oder?“
    „Aber es scheint ihm wirklich wichtig zu sein, dass er dich nicht mit seinen alten Geschichten belastet.“
    „Ich habe auch meine Altlasten. Das ist doch so im fortgeschrittenen Alter. Wer ist da noch ein unbeschriebenes Blatt?“
    „Ist ja nur so ein Gefühl. Ich denke, er kommt wieder, wenn er Land sieht.“
    Paula seufzte. „Warum ruft er mich nicht wenigstens mal an?“
    „Habt ihr schon jemals telefoniert?“
    Paula schüttelte den Kopf. „Ich sehne mich einfach so nach ihm.“
    „Komm, jetzt kümmere dich mal um dich. Schließlich willst du nicht, dass deine monatelangen Pläne wegen einem Kerl den Bach runtergehen.“
    Paula nickte stumm.
    „Was hast du dir denn bisher für den Vortrag überlegt?“
    Paula schob den leeren Block über den Tisch.
    „Ach, doch so viel?“ Annemarie seufzte. „Tja, denn man tau. Dann wird das eben heute ein längeres Treffen. Ich hoffe, du hast genug Kaffee.“
     
    Als Paula erschöpft und müde nach der immerhin effektiven Zeit mit Annemarie noch ihre E-Mails abrief, um zu schauen, ob weitere Infos vom Prüfungsamt gekommen waren, stolperte sie über eine Mail von [email protected]. Ohne Betreff. Aufgeregt klickte sie sie an.
    Liebe Paula.
    Tut mir leid, dass ich mich jetzt erst melde, ich bin nicht der große Schreiber. Vielen Dank für deinen Brief. Nein, es war für mich nicht zu früh, dir alles zu erzählen. Vermutlich gibt es für so etwas nie den richtigen Zeitpunkt. Aber mir ist es wichtig, dass unsere Beziehung eine Zukunft haben kann. Und die hat sie gerade noch nicht. Das liegt nicht an dir, das liegt an mir. Und ich kann dich erst wiedersehen, wenn ich meine Dinge geregelt habe. Meine Sehnsucht ist also zu früh mit mir durchgegangen.
    Du wirst jetzt sagen, du willst mir dabei helfen, klar zu werden. Aber, liebe Paula, das sind meine Baustellen. Ich bin Schreiner und ich weiß, wann eine Arbeit so fertig ist, dass man sie dem Kunden übergeben kann, und wann nicht.
    Sven, du blöder Kerl, dachte Paula. Du bist kein Möbelstück und ich bin keine Kundin, geht’s noch? Sie schlug auf den Tisch. Er hat sich einfach so verrannt, dass er das alleine schaffen muss, und dadurch hält er mich auf Abstand und ich soll tatenlos zuschauen? Doch es ging noch weiter.
    Bene hat erzählt, dass er dich weiterhin besucht. Das ist gut, er hat schon genug unter seinem unreifen Vater gelitten. Deswegen danke, dass du ein offenes Ohr und ein offenes Herz für ihn hast.
    Ja, verdammt noch mal, ich habe ein offenes Herz, und nicht nur Bene leidet, sondern auch ich, nur weil du so ein verflixter Sturkopf sein musst.
    Liebe Grüße
    Sven
    Liebe Grüße, Sven? Das war alles? Und kein Hinweis darauf, was mit Amélie war und was er weiter zu tun gedachte oder wie es mit ihnen weitergehen würde? Paula hasste dieses Gefühl und es war ihr nur allzu gut bekannt. Sie dachte an die Zeiten im Krankenhaus, als sie ohnmächtig zuschauen musste, wie schwachsinnige Entscheidungen getroffen wurden, die den Patienten überhaupt nichts brachten. Wenn beispielsweise klar war, dass operiert wurde, obwohl weder die Lebensdauer noch die Lebensqualität dadurch verbessert werden würde. Oder nicht mehr operiert wurde, obwohl man noch etwas für die Patienten hätte tun können, nur weil sie vermeintlich zu alt waren. Sie hatte gehofft, dieses Ohnmachtsgefühl nie wieder haben zu müssen, aber irgendwann holt einen alles ein.
    Nun gut, sie würde nichts übers Knie brechen, sie konnte warten. Geduld war auch so eine Eigenschaft, die sie zwar zur Not hatte, die aber nicht wirklich ihre Stärke war. Sie würde warten, aber wenn sie es nicht mehr aushielt, dann wäre es vorbei. Diesmal von ihrer Seite.
    Paula, das ist ein Experiment, sagte sie sich. Eigentlich ist es so wie mit dem Haus; ich konnte es zwar kaufen, aber ob es funktionieren würde, hing von so vielen Faktoren ab, von freundlichen Menschen, vom Zustand des Dachs und der Heizung, von einer großen Portion Glück und so weiter. Es gab einfach Dinge, die man nicht direkt in der Hand hatte. So eine Beziehung schien etwas in der Art zu sein. Sie würde warten, aber nicht gottergeben. Sie
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