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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)
Autoren: Bernhard Albrecht
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die Luft kühlte nicht, das Brennen wurde schlimmer. Er stürzte zu Boden, wand sich. Dann kam der Würgereiz, er erbrach einen Schwall von Blut.
    Es klappte nicht mit dem sofortigen Sterben. Singh kroch aus der Küche zum Telefon im Flur, tippte die Kurzwahl für Inges Handy. »Bitte, der Notarzt soll kommen«, röchelte er in den Hörer. Es sollten seine letzten Worte für lange Zeit sein.
    Als die Feuerwehr in Begleitung des Notarztes die Tür einbrach, fanden sie Singh dahinter am Boden liegend. Im Protokoll steht »ansprechbar« und »kreislaufstabil«, aber noch in der Wohnung schwand sein Bewusstsein, und an die folgenden Monate auf der Intensivstation hatte er später keine Erinnerung.

    Die Klinik Schillerhöhe thront wie ein Schloss auf dem Gipfel eines dichtbewaldeten Berges in der Nähe von Stuttgart. Früher bildeten die Nazis hier Gebietsführer der Hitlerjugend aus, in den frühen fünfziger Jahren wurde die Kriegsruine zu einem Lungensanatorium umgebaut – Tuberkulosekranke brachte man damals aus Angst vor der Infektionsgefahr fernab von Großstädten unter. Am 29. August 1987 gelang Thoraxchirurgen hier die erste einseitige Lungentransplantation Europas, spätestens seitdem gilt das Krankenhaus als Eliteeinrichtung.
    Thorsten Walles war glücklich, hier als Assistenzarzt arbeiten zu dürfen. Nicht nur wegen des hohen Renommees, auch, weil er endlich mit Heike zusammenleben konnte, die er seit acht Jahren liebte und mit der ihn ein gemeinsamer Zukunftstraum verband: künstliche Organe züchten.
    Kennengelernt hatte er Heike an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er frisch von der Uni, sie schon eine gestandene Wissenschaftlerin, die zahlreiche Doktoranden unter sich hatte. Er mit einem Zickzackstudium, sie, die sich immer geradlinig auf der Karriereleiter nach oben gearbeitet hatte. Er noch in den späten Zwanzigern, Jungengesicht mit vollen Wangen, seine Patienten hielten ihn gern für einen Studenten und verlangten nach dem richtigen Arzt – obwohl er stattliche 1,94 groß war und 110 Kilo auf die Waage brachte. Damals boxte er noch in der Superschwergewichtsklasse. Sie war schon 39, zehn Jahre älter, eine geschiedene Mutter von zwei Kindern, mitten im Leben stehend und gerade mal 1,62 Meter groß, blonder Wuschelkopf. Oft spielte ein undurchdringliches Lächeln um ihre Lippen, das mochte er sofort.
    Spöttisch hatte sie ihn damals von unten bis oben gemustert, als er sich vorstellte: »Und du willst jetzt auch Forschung machen?« Aus ihren Worten klang die Skepsis durch, mit der Biologen, die oft jahrelang für ihre Doktorarbeiten brauchen, Medizinern gerne begegnen. »Ich habe gedacht, das ist einer von denen, die sich schnell mal den Titel holen wollen«, sagte sie später über diesen Moment. Wie sie sich täuschte. Walles fühlte sich provoziert durch ihre Worte, gerade ihr wollte er zeigen, was in ihm steckte.
    Frauen hatten schon immer Wendungen in seinem Leben herbeigeführt. Für einen Schwarm aus dem Wohnheim hätte er einmal fast sein Medizinstudium geschmissen, weil sie ihm vom Traumberuf Medienmanager vorschwärmte. Er litt so unter der verschulten Ausbildung, in die er nur hineingeschlittert war, weil einige Freunde nach dem Abi den Medizinertest gemacht hatten und er sich mit ihnen sportlich hatte messen wollen. Später im Studium hatte er von einem Tag auf den anderen ein einfaches Ticket nach Rio de Janeiro gebucht – wegen einer Brasilianerin, in die er sich verliebt hatte. Ein halbes Jahr war er dort geblieben, bis zu dem Tag, als ihn seine Mutter wegen eines Briefes der Studienstiftung des deutschen Volkes anrief, bei der er sich viele Monate zuvor beworben hatte. Er hatte es längst vergessen. Ein Forschungsaufenthalt an der Johns Hopkins University, Baltimore, neun Monate! Das Mekka der medizinischen Forschung, gleichauf mit Harvard und Oxford. Er war so schnell weg aus Brasilien, wie er gekommen war, die große Liebe, die sich als Luftnummer entpuppt hatte, war vergessen.
    Baltimore war keine Stadt, in der man gerne durch die Straßen schlenderte oder abends wegging: Armut, Verwahrlosung, Drogenabhängige, eine der höchsten Raten für Verbrechen und Tötungsdelikte in den USA. So blieb ihm nur, sich ganz auf sein molekularbiologisches Forschungsprojekt zu konzentrieren.
    Regnerische Sonntagnachmittage verbrachte Walles in der Universitätsbibliothek. Dort las er in der Fachzeitschrift Nature zum ersten Mal von Heikes Forschungsgebiet, das Wissenschaftler weltweit
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