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Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)

Titel: Onno Viets und der Irre vom Kiez (German Edition)
Autoren: Frank Schulz
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hier , in diesem meinem Büro, voneinander verabschiedet hatten – gegen 11:10 Uhr an jenem 13.   August, vor rund drei Monaten. »Völlig absurd!« rief Onno. »Kommt mir vor, als wär’s zehn Jahre her oder so!« Er entsann sich noch Robotas ungewohnt freundlichen Lächelns. (Das ihrem verschwörerischen Glauben entsprang, gleich drunten vor der Tür werde Onno durch ihre Hilfe sein Erbstück zurückerhalten.)
    Und sie endete in jenem Augenblick an Bord der Saselbek , da Onnos surrealer Kokon aufgerissen wurde, da Onno erstmals quasi körperlich angegriffen worden war: als Tetropov ihm das T-Shirt auf- und die Sonnenbrille entriß. Der Lamborghini-Unfall, die Verfolgung, sein waghalsiger Schritt auf den ablegenden Alsterdampfer – ja die gesamten ersten zwanzig Minuten der Kaperung (inkl. Hundemord), all das hatte ein düster pulsierender Spiralnebel in seinem Gehirn verschluckt. (Das einzige Bild, das hin und wieder mysteriös daraus auftauchte, war ein kunsthandwerkliches Rautenmuster, Braun in Beige, die Innenschau eines Gewölbes – bei einer Tatortfahrt fiel mir auf, daß die Unterseite der Lombardsbrücke entsprechend geziegelt war.)
    Jetzt, bei der zweiten Betrachtung, war Onno in der Lage, die ein oder andere Erläuterung beizusteuern – bestimmte Gedächtnisspuren bestimmten Videobildern zuzuordnen. Für den Umstand, daß er nach der Attacke so derart zu schlottern begonnen hatte, hielt er eine einigermaßen ominöse Erklärung bereit. Jedenfalls nicht wegen der Attacke an sich. Vielmehr war ihm ohne die Verdunkelung der Sonnengläser erstmals deutlich geworden, was die Tätowierung von Händchens Adamsapfel darstellen sollte: jenen Hahnenkopf eben.
    »Und da passierte was Merkwürdiges«, sagte Onno. »Ich hab angefangen zu schauspielern.«
    Ich stoppte den Film. Raimund, Edda und ich starrten Onno an. Alle drei haßten wir die Vorstellung, er könne selbst in diesem Moment zu flunkern nicht entsagen.
    »Njorp … nech …« Stockend versuchte er Aufklärung.
    Seine Hahnenkopfphobie hat er Händchen auf Malle ja in einem sehr prekären Moment gestanden. Dieses Geständnis hat er Händchen ja als Pfand in die Hand gegeben. Als Pfand gegen Händchens verrätseltes Geständnis, daß die Erinnerung an den Speichel seiner Mutter ihn erregt. Onno hat das damals ganz intuitiv getan, und wie wir ja alle wüßten, sei diese seine Phobie gegen Hühner- und zumal Hahnenköpfe stets virulent, nach wie vor.
    Als ihm, Onno, dort auf der Saselbek allerdings klargeworden sei, daß Händchen diese Phobie gegen ihn offenbar zu instrumentalisieren beabsichtigt hatte (insofern, als er sie als Motiv in sein Rächerkostüm aufnahm) – da hat sich der phobische Abscheueffekt neutralisiert. Ja, die überdeutliche Erkennbarkeit von Händchens Absicht hat seine, Onnos, Widerstandskraft mobilisiert. Und um Händchen das nicht zu offenbaren, hat er, Onno, geschauspielert – und angefangen zu schlottern.
    »Du willst doch damit nicht sagen, daß du keine Angst hattest!« sagte Raimund.
    »In dem Moment nicht. Oder nicht mehr. Komisch, aber so war’s.«
    Ein solcher Effekt, so der Gerichtsgutachter im persönlichen Gespräch mit mir, sei in der wissenschaftlichen Literatur zur Angstforschung durchaus dokumentiert: Eine Frau, die im Alltagsleben unter Panikattacken in engen Räumen leidet, bleibt bei einer Geiselnahme in einem Flugzeug vollkommen ruhig u.   ä.
    Daß Onno auf dem Quivive war, bestätigt zumindest die Tatsache, daß seine erste Frage, die er Händchen stellt, die ist, wie er ihn gefunden hat. Das war für ihn das wichtigste, und nachdem er durch die Erwähnung Robotas den Eindruck gewonnen hatte, daß Edda außer Gefahr war, hat er sich jeden weiteren Gedanken an seine geliebte Gefährtin strikt verboten. Hat statt dessen die ganze Zeit an Tischtennis gedacht. Wahrscheinlich ein Winkelzug der adrenalinverseuchten Psyche, zur Selbsterhaltung. Hätte er weiterhin an Edda gedacht – an Edda in einer Welt ohne ihn, Onno –, so wäre er vor Verzweiflung zu schwach geworden, um sich zur Wehr zu setzen. Also habe er an Tischtennis ganz allgemein gedacht – nicht im einzelnen an uns, an Raimund, Ulli und mich. Sondern mehr so allgemeinphantastisch an unsere Institution Montagstraining. Daran, wie er am Stammtisch säße und diese seine Geschichte erzählte. »… und da war auch schon das Blut, wahrhaft schön, o meine Brüder!« zitierte er gütig – und also um so makabrer – grinsend aus Clockwork
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