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Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)

Titel: Olivia: Manchmal kommt das Glück von ganz allein (German Edition)
Autoren: Jowi Schmitz
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nicht mehr, wie ich wieder an die Oberfläche kommen sollte.
    Und dann übertönte Saschas Stimme auf einmal alles andere, hoch und schrill, wie die eines verängstigten Mädchens. »Hört sofort auf damit! Ihre Mutter ist tot! Also! Reißt euch mal ein bisschen zusammen.«
    Stille.
    Ich versuchte im Erdboden zu versinken, bis auf die andere Seite der Welt. Aber das schaffte ich natürlich nicht.
    Die Hand des Vertretungslehrers löste sich von meiner Schulter. Vor Schreck wahrscheinlich.
    Seltsamerweise fühlte ich mich danach leichter. Ich rappelte mich auf. Stemmte die Hände in die Seite. Sagte zu dem Lehrer: »Spielen wir jetzt Fußball, oder was?«
     
    »Bist du sicher?«
    Mein Vater zeigte auf den schwarzen Stuhl vor dem Waschbecken.
    Wir hatten das Fußballspiel gewonnen. Ich war immer noch ganz aufgedreht.
    Nach dem Spiel waren ein paar Kinder zu mir gekommen. »Entschuldigung«, hatten sie gesagt.
    »Ach«, sagte ich. »Ihr könnt auch nichts dafür, dass sie tot ist.«
    Ich stand neben Sascha und sah den anderen in die Augen, sodass sie verlegen wegschauten.
    Ich sagte noch mal: »Es macht nichts.«
    Am liebsten wollte ich laut lachen. Springen. Hüpfen.
    Warum, wusste ich nicht genau, aber ich weiß noch, dass ich Sascha ständig spielerisch in die Seite stupste, bis er protestierte, dass er davon noch blaue Flecken bekommen würde.
    Mein Vater sah mich im Spiegel an. »Bist du sicher?«
    »Kurz. Nicht rappelkurz, aber kurz.«
    Mein Vater nickte und legte die Schere bereit.
    Sogar der Vertretungslehrer hatte sich entschuldigt. Nur Milena und ihre Freundinnen waren nicht zu mir gekommen. Die hatten zu viel mit ihren übertriebenen Tanzschritten zu tun. Eigentlich war alles an Milena übertrieben. Das hatte ich da erst gemerkt.
    »Olli«, sagte mein Vater. »Ich bin so weit.«
    Ich nickte ihm im Spiegel zu. »Weg mit dem Knoten.«
    »Na endlich!«
    Ganz vorsichtig schnitt mein Vater das Gummi in meinem Haar mit einer kleinen Schere durch. Es dauerte lange, ich hielt die Augen geschlossen.
    Ich hörte Sonja hereinkommen und wieder weggehen.
    Sascha hatte mir nach dem Fußballspiel angeboten, mich nach Hause zu begleiten.
    Ich hatte den Kopf geschüttelt.
    »Aber geht’s denn wirklich?« Er hatte ausgesehen, als wäre er nicht ganz sicher.
    Ich hatte genickt, den Mund an sein Ohr gelegt und ganz leise geflüstert: »Danke.«
    Er war rot geworden.
    Und ich hatte gekichert.
    Sie wussten es. Die ganze Klasse. Keine Märchen, nichts Unausgesprochenes mehr. Schlimmer konnte es nicht werden.
    Und: Sie hatten mich nicht ausgelacht.
    Ich atmete tief aus. Ich war einfach ein elfjähriges Mädchen mit einer toten Mutter. Ein elfjähriges Mädchen mit einer toten Mutter und bald keinem schmuddeligen Haarknoten mehr.
    »Es ist raus.« Mein Vater hielt das zerschnittene Gummiband in die Höhe. Mein Haar blieb, wo es war: Es hatte sich an die Stelle gewöhnt.
    »Ein elfjähriges Mädchen mit total verknoteten Haaren. Dazu noch die Tochter des Herrenfriseurs.« Mein Vater schüttelte den Kopf.
     
    So war das gewesen: an dem Tag, an dem meine Mutter ins Hospiz gegangen war.
    Es war mein Geburtstag.
    Wir waren im Taxi zum Hospiz gefahren, mein Vater und meine Mutter hatten kurz miteinander getuschelt, während ich im Gang wartete. Dann durfte ich wieder ins Zimmer, und meine Mutter erzählte von Geburtstagen bei anderen Völkern, und dann holte mein Vater Kaffee. Sobald er weg war, sagte sie: »Krump, hilf mir mal eben.« Langsam ging sie mit mir ins Badezimmer. Unter dem roten Kleid war sie nackt: Unterwäsche sei zu anstrengend, sagte sie.
    Meine Mutter war sehr dünn geworden. Am Bauch hing ihre Haut herunter, als hätte jemand daran gezogen. Vorsichtig hängte ich das Kleid auf.
    »Komm, Krump«, sagte sie. »Zieh dich aus.«
    Unter der Dusche stand ein Stuhl, und auf den setzte sich meine Mutter. Am liebsten hätte ich mich auf ihren Schoß gesetzt.
    Ich fragte mich, was mein Vater denken würde, wenn er zurückkam und ein leeres Zimmer vorfand. Bestimmt würde er auch duschen wollen. Eine nackte Mutter fand ich nicht so schlimm, aber ein nackter Vater war ganz was anderes. Schließlich war ich gerade elf geworden.
    »Sperr die Tür ruhig zu.« Meine Mutter konnte gut Gedanken lesen.
    »Komm.« Auf dem Stuhl rutschte sie ein Stück nach hinten, damit ich mich mit dem Rücken an sie lehnen konnte.
    So trafen die Wasserstrahlen uns beide, und ich lauschte dem Rauschen des Wassers auf dem Plastiksitz. In meinem Kopf
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