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Oliver - Peace of Mind

Oliver - Peace of Mind

Titel: Oliver - Peace of Mind
Autoren: Nicole Schroeter
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Briefpapier. Wenn ich schreibe, fällt mir das Denken
leichter.
     
    Lieber Olli,
    Als ich heute vor Eurem Haus stand, mit meinem Brief an Betty in der Hand
und gesehen habe, dass Dein Name auf dem Schild steht, da hatte ich Tränen in
den Augen, weil ich jetzt weiß, dass Du zumindest noch lebst. Wenn nicht, dann
hätte ich Dein Grab gesucht und wäre dort Dein treuester Besucher geworden.
    Ich habe den anderen Brief an Deine Mutter gerichtet, weil sie mir vor
zwölf Jahren, als ich sie das letzte Mal traf, geraten hat, mich von Dir
fernzuhalten. Sie sagte, Du seist ein anderer geworden damals, nach Deinem
Unfall und dem, was dann kam.
    Es tut mir so unendlich leid, dass Du keinen Platz in diesem Leben finden
konntest.
     
    Aber ich kann Dich so gut verstehen. Auch ich fühle mich hier nach wie
vor nicht zuhause. Hat denn niemand gemerkt, wie schlecht es uns ging mit
Anfang zwanzig? Nein, wahrscheinlich haben auch damals alle weggeguckt – wie
immer! Sie sah doch so süß aus, und er war doch so groß und stark und gut
geraten. Das kann doch nicht sein, solchen, muss es doch gut gehen. Die haben
doch alles.
    Aber ich kämpfe, jeden Tag. Denn ich weiß, es gibt auch ein paar schöne
Momente im Leben. Mit Dir in der Badewanne zu liegen, das waren solche Momente.
Von Deinen Armen stürmisch umfangen zu werden. Deine Küsse, mich in Deinen
dunklen Augen zu verlieren, meine Hände in Deinem Haar zu vergraben, am Morgen
neben Dir aufzuwachen. Ich habe es nur damals nicht gewusst, dass diese kleinen
Dinge, die großen Dinge waren. Verzeih‘ mir!
     
    Du hast Dich entschieden, Deine Gefühle von Wut, Enttäuschung, Schmerz
und Einsamkeit zu betäuben. Ich dagegen versuche sie zu beherrschen, irgendwie.
Es scheint zu klappen, denn sonst wäre ich sicher schon tot. Es ist schwer zu
leben, wenn man sich wertlos fühlt.
    Eigentlich wollte auch ich nur ein wenig geliebt und respektiert werden.
Aber so viele Menschen sind zu krank. Menschen, wie unsere Eltern. Sie haben
nichts zu geben. Und wir dachten immer, es läge an uns.
    Ich schreibe oft Geschichten. Ich möchte Altlasten verarbeiten, aber auch
den Menschen etwas mitteilen, was sie nachdenken lässt. Es tut mir gut.
     
    Ich werde anfangen, von Dir zu schreiben. Es ist so lange her und wir
waren so jung. Aber ich möchte es. Es gibt so viel in Deinem Leben, was ich
nicht weiß. Wirst Du es mir erzählen? Damit ich Dich wieder neu kennenlernen
und finden kann? Damit wir die Menschen berühren, schockieren und vielleicht
wachrütteln können?
     
    Ich weiß nicht, in welchem Zustand Du bist. Es ist mir auch egal. Ich
wollte Dir schreiben, dem Olli da tief drinnen in Dir. Dem, der vielleicht
verschüttet ist. Dem, der mich geliebt hat, mehr, als ich es aushalten konnte,
weil ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Dem, der mit mir auf dem Spielplatz
hinter dem Haus gesessen hat und mir erzählen konnte, wie enttäuscht er war,
dass wir weggeschickt wurden, wenn sein Vater zu Besuch kam.
     
    Bitte bleib‘ noch am Leben. Ich möchte, dass Du mit mir gemeinsam lernst,
das Schlimme zu fühlen und zu sehen, dass Du stark genug bist und dass wir es
aushalten können, zusammen. Ich möchte Dir helfen, wieder Liebe, Glück und
Wärme spüren zu können. Es gibt so viele Wege, die Du nicht kennst. Vertrau‘
mir!
    Deine kleine Nici
     
    Zwei Tage lang trage ich den Brief voller Sehnsucht mit mir herum, als
mein Handy klingelt. Es ist Betty, und auch wenn die Verbindung mies ist,
erkenne ich ihre Stimme sofort.
    „Nici, bist Du das?“, fragt mich eine verunsicherte Stimme. Betty muss
fast siebzig sein inzwischen. „Ja!“, kann ich nur sagen, weil mir vor Freude
die Tränen in die Augen schießen. Endlich ein Lebenszeichen, eine Reaktion!
    „Nici!“, sagt sie wieder. „Kann ich Dich auf einem Festanschluss
erreichen?“ „Klar“, sage ich und gebe ihr die Nummer. Wenige Minuten später
klingelt mein Telefon. Jetzt kann ich sie klar und deutlich verstehen. „Nici“,
sagt sie wieder. „Ich konnte nicht früher anrufen. Ich musste mich erst
sammeln. Ein Brief von Dir, das hat mich umgehauen. Ich will eigentlich keinen
Kontakt mehr zu den Leuten von früher. Aber ich habe heute die Wohnung von Dave
sauber gemacht. Das mache ich jede Woche. Er wohnt noch immer hier. Ich wohne
inzwischen dort, wo ich aufgewachsen bin. Ich habe jetzt eine schöne Wohnung
mit Blick auf den Hafen.
     
    Dann habe ich Deinen Brief gefunden – Du warst seine erste Freundin –
deshalb habe ich Dich doch
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